Angedacht für Freitag 20. Mai 2022

Es ist keine Frage, der Ukrainekrieg hat bestimmte Konstanten unserer Gesellschaft in Frage gestellt. Sollen wir Waffen liefern oder nicht? Gefährden wir uns dadurch selbst? Müssen wir aufgrund von Lieferschwierigkeiten von Gas und Öl Einschränkungen in Kauf nehmen?
Wesentliche Grundkonstanten unserer Gesellschaft könnte man so umschreiben, als dass sich unser Leben wie in einem isolierten Glaskolben abspielt. Der Staat, Versicherungen, Jobbörsen sorgen dafür, dass unser gefährdetes Leben, – da Leben immer gefährdet ist, in Sicherheit ungefährdet ablaufen kann. Im Gegensatz zu Lebensläufen in anderen Ländern, jetzt auch in der Ukraine, wo Menschen um ihr Leben kämpfen müssen, können wir sogar mit vorausschauender Logik unser Leben in Sicherheit gestalten. Dies ist an sich wünschenswert und Ziel von politischen und sozialen Maßnahmen. Dabei haben wir allerdings auch ein stückweit das Gespür für jene Sinnerfahrung verloren, die sich aus dem Kampf um Leben, Überleben ergibt. Wir wissen zudem, dass diese unsere Sicherheit mit viel Unrecht erkauft wurde, wenn wir die ungleichen Wirtschaftsverhältnis, die Vergewaltigung der Natur und der Schöpfung miteinbeziehen. Dieses Wissen wirft uns allerdings nicht allzu sehr aus der Bahn, aus unserer Gemütlichkeit. Dadurch, dass die Staatsmacht die ökonomischen Herausforderungen, oft durch populistische Geschenke, mildert, erhöht sich das Gefühl der eigenen Sicherheit.
Dies alles hat der Ukrainekrieg, – was andere Kriege, z.B. der Irakkrieg, weniger vermochten, zerstört oder wenigstens in Frage gestellt. Dass eine europäische Regierung zu einer faschistischen Verbrecherregierung mutieren könnte, dass ein Patriarch, einer der größten Teilkirchen der Orthodoxie, sich einer Verbrecherregierung andient und die Botschaft Jesu zutiefst verrät, war einfach nicht vorgesehen. Dass wir selbst, durch Waffenlieferungen gefährdet, in den Krieg miteinbezogen werden könnten, das verursacht in vielen ein mulmiges Angstgefühl, da solche Entscheidungen plötzlich existentielle Konsequenzen haben könnten.
In der Theologie wird in diesem Zusammenhang plötzlich wieder über Vulnerabilität, Verwundbarkeit gesprochen. Ist es oft nicht so, dass im Kleinen, wie im Großen Risiken eingegangen werden müssen, damit Leben gelingt, damit ein mehr an Leben gelingt, nicht nur für uns selbst, auch für unsere Mitmenschen? Sinnerfülltes Leben, wie es das Motto des Katholikentags in Stuttgart „leben teilen“ gut benennt, gelingt nur, wenn wir uns füreinander verwundbar machen. Wer also in diesem Szenario des Ukrainekrieges bereit ist, wie auch immer einzugreifen, – diese Solidarität ist absolut gefordert, der muss auch die Bereitschaft zur Verwundbarkeit aufbringen. Die Bibel ist voll von Begebenheit, in denen sich Menschen verwundbar machten und gerade dadurch Leben ermöglichten. Der Tod Jesu, die Traumata der Jünger danach, haben nicht zum definitiven Tod geführt, sondern zum Pfingstereignis, ein Fest auf das wir in einigen Wochen wieder zugehen.

Franz Nagler, Pfarrer

Ich setze auf die Liebe

Wen der Himmel retten will, dem schenkt er die Liebe
Ich setze auf die Liebe,
wenn Sturm mich in die Knie zwingt
und Angst in meinen Schläfen buchstabiert,
ein dunkler Abend mir die Sinne trübt,
ein junger Mensch den Kopf verliert,
ein alter Mann den Abschied übt.
Das ist doch das Thema
den Hass aus der Welt zu entfernen
und wir bereit sind, zu lernen,
dass Macht, Gewalt, Rache und sogar Sieg
nichts anderes bedeutet als ewiger Krieg
auf Erden und dann auf den Sternen.

Die einen sagen, es läge am Geld – gut das ist sicher nicht ganz falsch,
die anderen sagen, es wäre die Welt,
sie läge in den falschen Händen – da ist auch manches richtig dran,
aber jeder weiß es immer besser, woran es liegt,
doch es hat noch niemand
noch niemand
den Hass besiegt
ohne ihn selbst zu beenden.

Er kann mir sagen, was er will,
und kann mir singen, wie er’s meint,
und mir erklären, was er muss,
und auch begründen, wie er’s braucht:

Ich setze auf die Liebe!
Schluss.

Text: Hanns Dieter Hüsch

 

Gebete und Bitten anlässlich des Krieges in der Ukraine

Gebete und Bitten anlässlich des Krieges in der Ukraine

 

Während des Friedensgebets am Aschermittwoch, anlässlich des Krieges in der Ukraine, wurden folgende Gebete und Bitten in die Altarwand gesteckt. Sie wurden dann im Osterfeuer verbrannt, damit sie im Licht der Osterkerze weiterbrennen und Licht in dunkle Zeiten bringen:

 

• Möge die Vernunft siegen und die Verhandlungen für Frieden nicht nachlassen. Mut, Kraft und Durchhaltevermögen für die Menschen in der Ukraine. Auf dass alles gut wird und Freiheit und Demokratie siegen.

• Geliebter Vater aller Menschen, Jesus Christus Freund, Bruder und Meister aller Menschen, auch Putin und alle Machthaber sind deine Kinder, verlorene, verletze, zerrissene Seelen.

Sende ihnen dein Heil, heile ihre Seelen, dass sie ihr Unrecht erkennen, dass sie sich selbst nach Frieden, Ruhe und Harmonie sehnen, dass sie wieder lernen zu lieben, dass sie in Liebe zu den Menschen Frieden stiften und Gewalt beenden. Amen

• Lieber Gott, was geschieht mit der Welt? So etwas Grausames habe ich noch nie erlebt. Frieden, ein Wunsch, eine Norm, was sich jeder wünschte, der jedoch noch nie existiert hat. Täglich sterben Menschen um uns herum, ob durch den Krieg oder durch den natürlichen Tod. Wir leben in einer Welt, die zum Teil grausam, aber auch schön sein kann. Lieber Gott, ich wünsche mir, dass du meine Gebete hören wirst. Jede Frau, die ihren Mann, vielleicht sogar ihr Kind oder ihre Mutter verloren hat, verdienen es gehört zu werden, all die Menschen, die durch sinnlosen, hasserfüllten Krieg, bei dem es nur um Macht geht, all das verlieren, was sie lieben. Ich bete, dass jeder Mensch da draußen einen Schutzengel bei sich trägt, der ihn vor dem Bösen, dem Tod und dem Krieg beschützt. Amen

• Lieber Gott, lass uns das Werkzeug des Friedens sein und nicht zur Zerstörung dienen. Gib uns Menschen den Verstand, den Nächsten zu lieben und in Achtung vor jeglichem Menschen zu leben. Herr, gib uns deinen Frieden. Herr, zeige allen Konfliktparteien Wege zu Frieden. Lass alle erkennen, dass Gewalt falsch ist.

• Lieber Gott, ich bitte dich um Frieden auf der ganzen Welt, besonders in der Ukraine. Schenke den Menschen viel Kraft und Hoffnung, um diese schweren Tage zu überstehen und dass alles wieder gut wird. Ich bitte dich, dass ich und alle Studenten die Prüfungsphase gut meistern. Amen

• Herr, gib Frieden!

• Lieber Gott, ich weiß, ich spreche nicht oft zu dir, aber es ist wirklich sehr wichtig! Wie du sicher schon mitbekommen hast, ist gerade Krieg. Ich hoffe du schützt alle Zivilisten und meine Familie in Polen. Hiermit bitte ich dich,  Acht zu geben auf meine Familie, welche Tag für Tag ihr Leben riskiert, um den ukrainischen Menschen zu helfen. Bitte sei wachsam und schütze sie in ihrer brenzlichen Lage. Wenn du ihn siehst, grüße bitte auch meinen Onkel. Ich vermisse ihn sehr. Er ist letztes Jahr im Oktober zu dir gekommen. Danke lieber Gott.

• Gott, sei du bei den Menschen in der Ukraine, trage du ihr großes Leid mit. Bewege die Menschen in Russland, dass sie den Machtmissbrauch ihres Präsidenten nicht länger hinnehmen. Gib uns Mut, dass die Angst uns nicht lähmt, sondern zu neuen Handlungen bewegt. Gott, berühre die Herzen der russischen Soldaten, nicht auf die Menschen und Häuser und Gebäude zu schießen. Schenke allen Deinen Frieden. Gib dem Aggressor Einsicht und beiden Völkern die Kraft, eine Brücke zueinander zu bauen.

• Lieber Gott! Zeige du dem Aggressor Putin einen Weg, eine Möglichkeit diesen Krieg und das  unsägliche  Leiden der Menschen zu beenden. Gib du den westlichen Politikern Gefühl und Geschick für heilbringendes Verhalten. Gott, hilf den Menschen zu erkennen, dass ein Leben in Frieden, die einzige Lösung ist und beschütze sie alle. Schenke ihnen Kraft, die Hoffnung und den Glauben zu behalten.

• Guter Gott, ich danke dir, dass ich heute mit den Jungen und Mädchen hier sein kann. Ich hoffe es hilft ihnen und sie machen hier die Erfahrung deiner Nähe. Diese ist gerade jetzt wertvoll und gibt Halt angesichts der Ohnmacht des Krieges. Glaube, Hoffnung und Liebe sollen bleiben. Amen

• Guter Gott, auf dieser Welt geschieht so viel Unrecht und jetzt noch dieser Krieg. Sende du deine Engel auf die Erde und lass sie die Menschen zu Besserem begleiten.

• Herr Jesus Christus, gib deinem Volk, heut besonders in der Ukraine, den Frieden. Wir bitten Dich von ganzen Herzen. Gib ihnen Hoffnung auf ein besseres Leben. Danke, für dein Leiden am Kreuz und unsere  Erlösung.

• Herr, Worte vermögen kaum auszudrücken, wie unglaublich traurig dieses unfassbare Leid ist, das so vielen Menschen in der Ukraine derzeit widerfährt und wie gering vieles andere dagegen scheint. Mut macht die große Solidarität und der gemeinsame Wunsch nach Frieden.

• Wir leben hier in einer zivilisierten Welt und trotzdem gibt es keinen Frieden unter den Völkern. Guter Gott, hilf, dass der Friede bei uns anfängt unter Freunden und in den Familien.

• Gib uns und allen Menschen auf dieser Erde die Einsicht, dass wir nur in Frieden und in der Liebe zum Menschen eine gewissenhafte gute Welt schaffen und darin leben können.

• Herr, ich bitte dich um Frieden in  der ganzen Welt. Sende deinen Geist den Regierenden und Mächtigen, dass sie das Gute für das ihnen anvertraute Volk und nicht für sich selbst anstreben. Herr, ich bitte dich für die Menschen in der Ukraine, die sich mutig und tapfer einem scheinbar übermächtigen Feind entgegenstellen. Sei bei ihnen, stärke und beschütze sie. Herr, bitte sei auch beim Rest der Welt, dass alle Menschen sich gemeinsam gegen dieses Unrecht stellen, damit keiner allein gelassen wird.

• Herr, hilf uns, dass wir im Kleinen, in unserer Familie lernen, friedlich untereinander umzugehen und Konflikte durch Reden lösen zu lernen, damit auch im Großen, Frieden werden kann. Gib den Menschen in den Kriegsgebieten Kraft.

• Herr, gib uns deinen Frieden, innerlich und äußerlich, im Herzen und in den Sinnen, nah und fern und erbarme dich deines Volkes in der Ukraine und anderswo, wo Krieg und Zwietracht herrschen und schenke den Menschen Trost und Zuversicht. Sei du immer bei ihnen, auch in der tiefsten Not und Verzweiflung. Herr, dein Wille geschehe, schenke uns deinen Frieden.

• Barmherziger, den Menschen zugewandter Vater, unser Gott, du sieht welche Gräueltaten Menschen anderen Menschen, ihren Geschwistern, antun. Stärke unser aller Geist, damit Wege gefunden werden, die große Kriege in der Welt, aber auch die kleinen Kriege in Familien, unter Nachbarn zu beenden.

• Herr, mache uns zu Werkzeugen deines himmlischen Friedens, um den Hass und das Lied in der Welt zu überwinden.

• Gott, du bist die Kraft, die Macht des Lebens, des Friedens! Wirke, spreche, stoße an, verhindere, bewege zur Umkehr und Liebe. Wärme die Herzen, die Gedanken, dass Friede werde.

GEDANKEN ZU JES 43,16-21 U. JOH 8,1-11 AM MISEREOR-SONNTAG

Ein düsterer Hintergrund begleitet heute die Lesung. Ein ganzes Volk war in die Gefangenschaft nach Babylon verschleppt worden. „An den Flüssen von Babylon, da saßen wir und weinten.“ Wir kennen diesen Ps 137, vor allem aus dem Disco-Hit „By the river of Babylon“. Sie hatten alles verloren, den Tempel, ihr Land. Da ruft ihnen der Schreiber der Lesung entgegen: „Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, achtet nicht mehr! Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?“ Vergoldet nicht nostalgisch eure Vergangenheit, hofft, schaut und vertraut darauf, was in der Zukunft möglich ist. Man möchte so, dasselbe der heutigen Welt zurufen.
Im heutigen Evangelium wird eine Person bloßgestellt. Eine Frau, des Ehebruches ertappt, vom Mann ist typischerweise nicht die Rede, wird schonungslos zur Steinigung in die Mitte gestellt.

In islamischen Ländern oder bei uns im Internet kennt man noch „solch grausames in die Mitte gestellt werden“ zur Aburteilung. Doch den Pharisäern geht es hier nicht nur um die Frau. Sie wird hier zum Objekt, zum Mittel, zum Zweck, um Jesus gleich mit zu erledigen: „Mit diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen.“ Und tatsächlich heißt es am Ende des Kapitels: „Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Jesus aber verbarg sich und verließ den Tempel“ (Joh 8,59).
Was tut nun Jesus hier? Er bückt sich und schreibt in den Sand. Er deeskaliert, würde man heute sagen, lässt das Mütchen der Pharisäer abkühlen und erst als sie hartnäckig auf einer Antwort bestehen, reagiert er.

Jesus konnte also, wie es diese Stelle vermuten lässt, schreiben. Wieso schrieb er dann nichts nieder, könnte man weiter fragen. Aber waren es in unserem Evangelium nicht ausgerechnet die Schriftgelehrten, die Pharisäer, die durch ihre niedergeschriebenen Gesetze, menschliches Leben vernichten wollten, die blind waren für das Leben? Hat überhaupt jemand die Todesstrafe verdient, auch wenn es gesetzlich niedergeschrieben ist? Woher nehmen Gesetze überhaupt ihre Legitimation? Müssen sie nicht immer neu hinterfragt werden, ob sie noch dem Leben dienen oder dieses beschädigen, vernichten? Wie viele Gesetze wurden schon in den Sand geschrieben? Wir dürfen da nur an die vielen Corona-Verordnungen denken.
Jesus jedenfalls scheint so gedacht zu haben. Der Evangelist Johannes lässt dann auch Pilatus zur Kreuzigung Jesu entlarvend sagen: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben“ (Joh 19,22). „Das Gesetz über den Menschen zu stellen, ist das Wesen der Gotteslästerung“, meinte Simone Weil und der heilige Ambrosius fügte hinzu: „Wo das Erbarmende ist, da ist Gott; wo Härte und Strenge herrschen, mögen vielleicht die Diener Gottes sein, nicht aber Gott.“ Wohl wahr.
Nun, Jesus reagierte hier und drehte den Spieß um: „Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“ Man kann sich die Szene vorstellen, wie einer nach dem anderen bedröppelt wegging: „Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten.“ Dann erst richtet sich Jesus an die Frau, fragt aber nicht nach der Tat, sondern verweist auf das Schuldeingeständnis derer, die sie gerade noch töten wollten: „Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt?“ Da erst weiß sich die Frau ermutigt, zu reden. Jesus ermutigte sie wieder zum Leben, aber meinte, dass sie aufpassen und nicht so weiterleben solle.

Heute ist der Misereor-Sonntag mit dem Motto: „Es geht! Gerecht.“ Im Zentrum dieses Mottos steht der Einsatz für die Rettung des Klimas. Wenn man die Prognosen der Wissenschaftler hört, könnte, müsste die jüngste Generation noch den Kollaps des Klimas erleben, derart, dass die Südhälfte der Erde zur Wüste und die Nordhälfte der Erde von Stürmen und Überschwemmungen heimgesucht wird. Die Flutkatastrophe im Ahrtal war sozusagen nur ein Vorbote. Die Erderwärmung wird den Meeresspiegel steigen lassen und manche Landstriche an den Ufern werden vom Erdboden verschwinden. Angesichts dieser Aussichten kann man den nahezu verzweifelten Wutausbruch von Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel in New York verstehen: „Wie konntet Ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit Euren leeren Worten? Wir stehen am Anfang eines Massenaussterbens und alles, worüber Ihr reden könnt, ist Geld und die Märchen von einem für immer anhaltenden wirtschaftlichen Wachstum – wie könnt Ihr es wagen?“

Wenn wir hier auf die Bildebene des Evangeliums gehen, stehen wir als Angeklagte im Zentrum. Die Erde wird uns anklagen, die kommenden Generationen werden uns anklagen.
Hat uns Gott schon aufgeben oder wird er erscheinen und etwas in den Sand schreiben und am Schluss sagen: Ich verurteile euch nicht, aber kehrt um und sündigt nicht mehr?

Es war vor allem Papst Franziskus, der die Anklage der Erde und der kommenden Generationen sehr ernst genommen hat. Er schreibt in der Umwelt-Enzyklika Laudato si`: „Damit neue Leitbilder für den Fortschritt aufkommen, müssen wir „das Modell globaler Entwicklung in eine [andere] Richtung … lenken“, was einschließt, „über den Sinn der Wirtschaft und über ihre Ziele nachzudenken, um Missstände und Verzerrungen zu korrigieren“. … Oft nimmt die wirkliche Lebensqualität der Menschen im Zusammenhang mit einem Wirtschaftswachstum ab, und zwar wegen der Zerstörung der Umwelt, wegen der niedrigen Qualität der eigenen Nahrungsmittel oder durch die Erschöpfung einiger Ressourcen“ (LS 194).
Und in seiner letzten Enzyklika Fratelli tutti, schreibt er: „Ein Einzelner kann einer bedürftigen Person helfen, aber wenn er sich mit anderen verbindet, um gesellschaftliche Prozesse zur Geschwisterlichkeit und Gerechtigkeit für alle ins Leben zu rufen, tritt er in »das Feld der umfassenderen Nächstenliebe, der politischen Nächstenliebe ein«.

Es geht darum, zu einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung zu gelangen, deren Seele die gesellschaftliche Nächstenliebe ist (FT 180).
Was also würde uns Gott heute in den Sand schreiben?
Im Misereor-Kalender dieses Jahres, jeweils an den Montagen, gibt es viele Tipps, wie nachhaltig das Leben gelebt werden kann.
• Am 7. März wird Papier, auch Toilettenpapier, mit dem Umweltsiegel
„Blauer Engel“ empfohlen.
• Am 11. März wird die Initiative einer Bäckerei erzählt, der ein Brötchen mehr gibt, wenn der Kunde mit dem Fahrrad kommt.
• Am 17. März wird darauf hingewiesen, dass jeder Mensch in Deutschland pro Tag 125 Liter Wasser verbraucht: 36% zum Baden und Duschen; 27% für die Toilettenspülung; 12% zum Händewaschen; der Rest für Geschirr-
spülen, Gartenbewässerung, Autopflege…; nur 5% werden für Essen und Trinken verwendet.
• Am 11. April: Im Jahr 2019 wurden 17% oder 931 Millionen Tonnen der weltweit produzierten Lebensmittel nicht gegessen, sondern entsorgt. In deutschen Haushalten wurden 6 Millionen Tonnen Lebensmittel wegge-
worfen.
Leider hat man zu oft den Eindruck, dass solche Zahlen tatsächlich in den Sand geschrieben sind und schnell vom Winde verweht werden. Gott hat uns nicht abgeschrieben. Er möchte mit uns das Leben lebenswert erhalten. (FN)

In neun Monaten ist Weihnachten

In neun Monaten ist Weihnachten

Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, Du Begnadete, der Herr sei mit Dir (Lk 1, 28)
Auf der Suche nach Inspiration habe ich mir den diesjährigen Fastenkalender vorgenommen. Dabei ist mir aufgefallen, dass in neun Monaten schon Weihnachten ist. Und dass wir heute, mitten in der Fastenzeit, den Tag der Mariä Verkündigung begehen.
Interessant, wie wichtig dieser Tag für die ganze Christenheit ist und wie viele ihn gar nicht „auf dem Schirm haben“ Wenn man uns fragt, welcher der wichtigste Feiertag für uns ist, antworten die meisten: Ostern. Verständlich, denn auf die Auferstehung Jesu basiert unser Glaube.
Aber ohne das Zusammentreffen von Maria und dem Engel, wäre Jesus vielleicht gar nicht auf die Erde gekommen. Dann gäbe es erstmal kein Weihnachten und auch die Fastenzeit wäre nicht nötig, denn wir bräuchten keine Vorbereitung auf das dann nicht vorhandene Ostern.
Was hat sich Maria wohl an dem Tag gedacht? Erschrocken ist sie laut der Bibel schon, aber sie überlegt auch, was das alles zu bedeuten hat. Sie hat die Verkündigung einfach hingenommen ohne sich zu beklagen oder alles zu hinterfragen. Ob sie wohl geahnt hat, welche große Verantwortung ihr Gott übertragen hat, seinen Sohn auszutragen und aufzuziehen?
Auch für uns heutzutage ist es nicht abzusehen, wenn wir das erste Mal Eltern werden, was sich in unserem Leben ändern wird. Aber wir überlassen nichts dem Zufall oder der Vorsehung, sondern wir planen die ersten Lebensjahre unseres Kindes von dem Moment an, in dem wir von ihm erfahren. Es wird eine Hebamme gesucht, Kindergärten angeschaut und die Anmeldung abgegeben, obwohl das Kind noch nicht einmal geboren ist. Wenn es dann da ist, findet es sich in einem liebevoll ausgestatteten Kinderzimmer wieder, es hat genügend Kleidung in mehreren Größen und es ist wirklich alles vorhanden, was es braucht (oder auch nie brauchen wird).
Ganz anders Maria. Sie sagt, ohne groß nachzudenken:
Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel (Lk 1, 38)
Aber zurück zum Anfang: Wenn ich die jetzt das Frühlingserwachen sehe, mit den ersten Blumen und den ersten warmen Tagen, möchte ich eigentlich nicht an Weihnachten denken. Weder an die kalte, dunkle Jahreszeit und den ganzen Stress, den dieses Fest in der Regel mit sich bringt. Ich freue mich jetzt erst einmal auf das Osterfest mit allem was dazu gehört und nehme mir heute bewusst ein paar Minuten Zeit und denke an Maria, für mich eine starke und bewundernswerte Frau.

Manuela Paflitschek, Pastorale Mitarbeiterin

Gebet aus dem MartinusBrief März-April 2022

Missbrauch

Gott, du Freund des Lebens.
Du bist allen nahe, die bedrängt sind und leiden.
Wir denken heute besonders an die Kinder,
Jugendlichen und Erwachsenen,
die sexuellen Missbrauch erleiden mussten und
müssen – auch in deiner Kirche.

Wir klagen vor dir
über die Gewalt, die Täter ihren Opfern an Leib und Seele antun,
über zerstörtes Leben, das oft niemand wieder gut machen kann.
Du unser Gott, höre unsere Klage.

Wir bekennen vor dir
das Wegschauen, Schweigen und Nichtstun
derer, die die Taten geahnt haben und ahnen.
Du unser Gott, höre unsere Klage.

Wir wollen darauf achten, was viele nicht sehen
wollen:
sexuelle Übergriffe und den Missbrauch von Vertrauen und Macht.
Du unser Gott, steh uns bei.

Wir wollen hören
auf die Geschichten der Opfer.
Wir wollen Anteil nehmen an ihrem Schmerz und ihrer Einsamkeit.
Du unser Gott, steh uns bei.

Wir wollen sprechen
von der Verantwortung, die jeder von uns trägt.
Wir wollen sprechen über Hilfe und Auswege aus der Not.
Du unser Gott, gib uns Kraft und Mut.

Wir wollen schweigen,
wo Erklärungen und Ratschläge nicht angebracht sind.
Du unser Gott, gib uns Kraft und Mut.
Wir wollen uns freuen
über die Stärke und Kraft der Betroffenen,
über die Solidarität derer, die sie begleiten,
über alle Menschen, die mitarbeiten, um einen besseren Schutz zu verwirklichen.
Du unser Gott, mach unsere Hoffnung stark.

Wir wollen hoffen
auf Aufbrüche und neues Leben schon in dieser Welt,
auf die Umkehr der schuldig Gewordenen,
auf deine Gerechtigkeit heute und am Ende der Zeiten,
auf Heilung aller Wunden, die allein du schenken kannst.
Du unser Gott, mach unsere Hoffnung stark.

Lebendiger Gott, sende uns deinen Geist und sei
mit uns auf diesem Weg,
durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn.
Amen.

Sabine Hesse, Präventionsbeauftragte des Bistums Rottenburg-Stuttgart

GEDANKEN ZU JER 1,4-5.17-19; LK 4,21-30

„Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt.“ Wie ist das und welche Bedeutung hat dies für unser Leben: aus dem Mutterleib schon ausersehen, geheiligt und bestimmt zu sein?

Etty Hillesum, die dasselbe Schicksal wie Anne Frank und Edith Stein erlitt, aus dem Durchgangslager Westerbork in Holland nach Ausschwitz verfrachtet und vergast worden zu sein, hatte sich zuvor freiwillig für den Dienst in der Krankenbaracke Westerbork gemeldet. Ein Untertauchen, das ihr aus dem Freundeskreis angeboten wurde, lehnte sie ausdrücklich mit der Begründung ab, sie wolle das Schicksal ihres Volkes teilen. Sie schrieb zuvor: „Den größten Raubbau an uns treiben wir selbst. Ich finde das Leben schön und fühle mich frei. Der Himmel ist in mir ebenso weit gespannt wie über mir. Ich glaube an Gott und ich glaube an die Menschen, das wage ich ohne Scham zu sagen. Das Leben ist schwer, aber das ist nicht schlimm. Man muss beginnen, sich selbst ernst zu nehmen, und das übrige kommt von selbst.“
Sie änderte ihre Gestimmtheit auch im Lager nicht: „Unter dem Himmel ist man zu Hause. Auf jedem Fleck der Erde ist man zu Hause, wenn man alles mit sich trägt“, meinte sie zu einem Freund.
Woher diese innere Gestimmtheit, dieser Wagemut: „Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt.“
Diese innere Gestimmtheit, dieser Wagemut hat demnach seinen Ursprung, seinen Keim im Mutterleib. Es ist keine Frage, dass unsere Fähigkeiten später in der Welt versöhnt für das Leben hinzustehen, aus der Verbundenheit im Leib der Mutter geboren werden. Emotionale Nähe und Liebe am Anfang des Lebens durch die Mutter, die Eltern ermöglichen später einen Stand im Leben, der, soweit wie bei Etty Hillesum, gehen kann, ja der eine ausgesprochene Anforderung später an das Leben stellt, für das Leben, auch anderer Menschen, einzutreten.
Lieblosigkeit dagegen macht krank und verhindert den Ruf der Berufung in das Leben. Dies setzt sich dann später fort und kreiert Menschen, die nicht mehr ihrer Lebensberufung folgen, sondern zu Egoisten oder kranken Menschen werden. Dabei spielt die digitale Kommunikation derzeit eine verhängnisvolle Rolle. Der in Berlin lebende Philosoph Byung-Chul Han meinte unlängst: „Wegen der Effizienz und Bequemlichkeit der digitalen Kommunikation meiden wir zunehmend den direkten Kontakt mit realen Personen, ja, den Kontakt mit dem Realen überhaupt. Bestehende Meinungen werden verfestigt, die Realität außerhalb der eigenen Filterblase verdunkelt. Die Fähigkeit, sich auf etwas Neues, Fremdes einzulassen, nimmt dadurch ab.“
Auf der anderen Seite wurde uns im Mutterleib, hoffentlich muss man allerdings sagen, ein Vertrauen in das Leben mitgegeben, das es dann als Berufung zu leben gilt.

Martin Buber meinte einmal: „Die Verbundenheit im Mutterleib mit dem Leben ist so welthaft, dass es wie das unvollkommene Ablesen einer urzeitlichen Inschrift anmutet, wenn es in der jüdischen Mythensprache heißt, im Mutterleibe wisse der Mensch das All, in der Geburt vergesse er es.“
Aber genau darum geht es, dieses Wissen der Verbundenheit, des Wissens um das All, das Leben, den Wagemut für das Leben hinzustehen, nicht zu vergessen. Selbst wer diesen Mut mit der Muttermilch nicht bekommen hat, kann sich später seiner Berufung bewusst werden und durch ein ehrliches Verhalten zu sich selbst, denselben Mut gewinnen, den andere schon im Mutterleib mitbekommen haben.

Die Lesung jedenfalls insistiert darauf, dass Jeremia schon im Mutterleib ausersehen, geheiligt und bestimmt war, und das soll er jetzt nicht vergessen. Er soll seine Berufung als Prophet nicht vergessen. „Du aber gürte dich, tritt vor sie hin und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage! Erschrick nicht vor ihnen! … Ich selbst mache dich zur befestigten Stadt, zur eisernen Säule und zur bronzenen Mauer gegen das ganze Land, gegen die Könige, Beamten und Priester, gegen die Bürger des Landes. Mögen sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten.“
Prophet wird man nicht auf einem kirchlichen Dienstweg, man wird es auch nicht, weil man es gerne möchte oder sich gar für einen Propheten hält. Man wird es durch Berufung, indem man sich auf sein Wesen besinnt.
Wer bedenkt heute noch, dass er zu einer Aufgabe berufen ist, die ihm nicht zuletzt Sinn und Würde in seinem Leben geben würde?

Zurück zu Jeremia: Berufung ist immer auch Gottes Sache. Er hat das erste und das letzte Wort: „Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen …“. Die Gottesbeziehung ist die innere Achse der Berufung. Dabei ist es nicht immer ein Vergnügen seiner Berufung zu folgen. Jedenfalls hier bei Jeremia nicht. Genauso wenig wird da nach unseren Wünschen gefragt. Der Vollzug unserer Berufung, als Vollzug des Glaubens, hat mit Gott zu tun und nicht mit unseren Bedürfnissen oder einer egoistischen selbstzentrierten Selbstbestimmung.
Jesus erfuhr seine Berufung bei der Taufe und verfestigte sie in der Lektüre der Heiligen Schriften. Heute liest er eine Stelle und bezieht Stellung: „Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“
Bei der Diakonenweihe wird zu den zu Weihenden gesagt: „Was du liest, erfasse im Glauben, was du glaubst, verkünde, was du verkündest, erfülle mit Leben.“ Genau das tut Jesus hier. Er füllt das verkündete Wort mit seinem Leben.
Wir können bei Jesus annehmen, dass er seine Berufung schon im Mutterleib erfuhr. Bei der Empfängnis erfuhr Maria durch die Worte des Engels: „Dein Sohn wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vater David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben.“

Was wissen wir, welche Worte über uns am Anfang gesprochen wurden? Es stimmt, was Ignatius von Loyola einmal sagte: „Die meisten Menschen ahnen nicht, was Gott aus ihnen machen könnte, wenn sie sich ihm nur zur Verfügung stellen würden.“ Dieses „zur Verfügung stellen“ ist die größte Herausforderung an unser Leben, denn davon hängt unser Lebensglück ab.
Aus der Berufung erwächst die Sendung, die Gemeinschaft oder der Widerstand sowie letztlich die tiefste Sinnhaftigkeit unseres Lebens. (FN)

GEDANKEN ZU 1 KOR 7,17-23 UND JOH 1,9-14

Das vergangene Jahr 2021 hat uns in die Gefangenschaft von Covid-19 gebracht. Das Gefühl von Unsicherheit, gesundheitlicher Bedrohung, der Wahrnehmung unserer individuellen, biologischen und sozialen Verletzlichkeit und Verwundbarkeit, hat uns ergriffen. Wie damit umgehen?
Nicht nur seit der bevorstehenden Impfpflicht, sondern zuvor schon gab es Zusammenstöße zwischen dem mehrheitlichen Schutzbedürfnis und Sicherheitsanspruch an den Staat und einem wütenden Freiheitsbedürfnis und Freiheitsanspruch gegen den Staat. Wobei der Freiheitsbegriff stark auf einer Ablehnung von Regeln und Beschränkungen beruht und eine eigene Verantwortung für die Bekämpfung der Pandemie ablehnt. Im Gegenteil vertrauten auch die Impfgegner darauf, dass sie im Krankheitsfall in den Krankenhäusern behandelt werden würden.

Wie mit dieser Situation umgehen, steht doch auch der Friede in der Gesellschaft als Herausforderung auf dem Spiel. Wenig hilfreich ist es, die eine oder andere Partei zu kriminalisieren, derart, dass alle, die einer Zwangsimpfung skeptisch gegenüberstehen, Querdenker oder gar Terroristen benannt werden, die eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzen wollen und eine Rückkehr zu einem normalen freien Leben verhinderten, während die andere Seite schnell von einer Corona-Diktatur spricht, sooft Regeln für die Überwindung der Pandemie aufgestellt werden. Letztlich muss es darum gehen, nicht Personen zu bekämpfen, sondern das Virus, was wohl alle Seiten wollen.

In der ganzen Problematik geht es um ein gutes Verständnis von Freiheit und dem Dienst an kranken und erkrankten Menschen, im medizinischen wie im sozialen Bereich. Die Erfahrung aus der ersten Welle, dass Sterbende von ihren Angehörigen nicht mehr begleitet werden konnten, dass selbst Beerdigungen eingeschränkt waren, liegt noch wie ein Trauma auf manchen Angehörigen.

Was den Freiheitsbegriff anbelangt, greife ich zunächst auf die gehörte Lesung zurück. Paulus gilt ja als der Apostel, der die Freiheit sehr hoch einschätzte. „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“, schreibt er im 2. Korintherbrief (2 Kor 3,17).
Unsere Lesung beginnt mit dem Satz: „Im Übrigen soll jeder so leben, wie Gottes Ruf ihn getroffen hat. Das ist meine Weisung für alle Gemeinden.“ Wie Gottes Ruf ihn getroffen hat. Paulus redet hier von keiner äußeren Freiheit, sondern von einem Akt des im Inneren getroffen seins, von einer Berufung, von einem inneren Kern, den es unter allen Umständen zu leben gilt. Deswegen kann er auch sagen: „Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat. Wenn du als Sklave berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken; aber wenn du frei werden kannst, mach lieber Gebrauch davon!“
Paulus weiß, er kann den Sklavenstand nicht abschaffen, aber auch innerhalb des Sklavenstandes kann ein Mensch dem Ruf Gottes treu bleiben. Allerdings ermutigt er jeden, aus Berufen, die versklaven, auszusteigen. Er verweist auf Jesus, der uns ein Leben aus einer Treue zu seiner Berufung vorgelebt hat: „Um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden“ und fügt als Mahnung hinzu: „Macht euch nicht zu Sklaven von Menschen!“ Das tat Paulus selbst nie. Seine Tätigkeit empfand er nicht wie ein freies Entscheiden, sondern als ein Getriebenwerden, aus einer inneren Notwendigkeit heraus. So schreibt er im 1. Korintherbrief: „Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, gebührt mir deswegen kein Ruhm; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor 9,16).
Seine Freiheit ist rückgebunden an den Ruf Gottes. Frei sein ist immer ein Beziehungsgeschehen. Aus dieser Bindung an den Ruf Gottes geht Paulus die Probleme des Lebens an.

Was kann uns dies für unser Freiheitsverständnis geben? Zunächst einmal geht es nicht darum, für was und gegen was ich bin, sondern darum, was ich als meine Aufgabe, meine Berufung bekenne, anerkenne. Darin liegt das Fundament aller Freiheit geborgen. Dann gilt es zu handeln. „Es kommt darauf an, die Gebote Gottes zu halten“, sagt da unsere Lesung.

Es gibt für die Bekämpfung des Covid-19-Virus keine absolut Erfolg versprechende Methode. „Wir irren uns empor“, sagte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx. Aber eine Regierung muss regieren, Entscheide fällen. Wo diese im Parlament besprochen, diskutiert und angenommen werden, da haben sie ihre Berechtigung. Das unterscheidet eine Demokratie von einer Tyrannei. Über 100.000 Coronatote im unserem Land sprechen eine deutliche Sprache. Allerdings müssen demokratisch gefällte Entscheide auch so kommuniziert werden, dass sie für alle zur Einsicht kommen können und so angenommen werden. Dass es immer eine – letztlich kleine – Gruppe von Uneinsichtigen gibt, kann in einer Demokratie verkraftet werden.
Allerdings ist ein Freiheitsbegriff, der nicht für die Folgen seiner Handlung eintritt, abzulehnen. All die Argumente aus Verschwörungstheorien haben nichts mit einer Berufung zu tun, sondern eher mit einem Egoismus, der die Folgen ausblendet. Wer seine individuelle Freiheit voll ausleben will, setzt ein funktionierendes Gesundheitssystem voraus, dass Hilfen im Notfall funktionieren.

Auf der anderen Seite braucht der Staat kritische Bürger, die ihre Freiheiten verteidigen und sie ins Gespräch bringen. Freiheit muss begriffen werden als eine vernünftige Einsicht in die Notwendigkeiten verantwortlichen Handelns und in Solidarität mit den Schwächsten, um einer gemeinsamen Zukunft willen.
Gerade dieser Punkt wurde bei der ersten Coronawelle vernachlässigt. Wenn Sterbende nicht mehr begleitet werden können, wenn Tote nicht mehr im Kreis der Geliebten beerdigt werden können, dann ist der Punkt der Solidarität und der Geschwisterlichkeit gekippt und die göttliche Berufung, die darin besteht, dass es Hungrige zu sättigen, Kranke zu besuchen und Tote zu beerdigen gilt, nicht mehr wahrgenommen.

Freiheit ist nicht nur eine Einsicht in Notwendigkeiten, sondern auch ein schonungsloser Einsatz für Humanität und Mitmenschlichkeit. Dazu befähigt uns ein Glaube, wie er im Evangelium umschrieben wird: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und dieses Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut.“ (FN)

 

Gebet aus dem MartinusBrief Februar 2022

Ökumenisches Friedensgebet 2022

Gütiger Gott, wir sehnen uns danach,
miteinander in Frieden zu leben.

Wenn Egoismus und Ungerechtigkeit
überhandnehmen,
wenn Gewalt zwischen Menschen ausbricht,
wenn Versöhnung nicht möglich erscheint,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.

Wenn Unterschiede in Sprache, Kultur oder Glauben uns vergessen lassen,
dass wir deine Geschöpfe sind und dass du uns die Schöpfung
als gemeinsame Heimat anvertraut hast,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.

Wenn Menschen gegen Menschen ausgespielt werden,
wenn Macht ausgenutzt wird, um andere auszubeuten,
wenn Tatsachen verdreht werden, um andere zu täuschen,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.

Lehre uns, gerecht und fürsorglich miteinander umzugehen
und der Korruption zu widerstehen.

Schenke uns mutige Frauen und Männer, die die Wunden heilen,
die Hass und Gewalt an Leib und Seele hinterlassen.

Lass uns die richtigen Worte, Gesten und Mittel finden,
um den Frieden zu fördern.

In welcher Sprache wir dich auch als „Fürst des Friedens“ bekennen,
lass unsere Stimmen laut vernehmbar sein gegen Gewalt und gegen Unrecht.
Amen.

Die Autorin Sr. Mary Grace Sawe wurde 1974 in Kenia geboren.

Quelle Text und Bilder:
www.oekumenisches-friedensgebet.de (missio/EMW)

Angedacht für Freitag 21. Januar 2022

Ein Leib und viele Glieder

Bei der Vorbereitung unseres kommenden Familiengottesdienstes haben wir uns im Team mit der Lesung aus dem 1. Korintherbrief beschäftigt. Hier ein Auszug:
„Wären alle zusammen nur e i n Glied, wo bliebe dann der Leib? So aber gibt es viele Glieder und doch nur e i n e n Leib. Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich brauche dich nicht. Der Kopf wiederum kann nicht zu den Füßen sagen: Ich brauche euch nicht. Im Gegenteil, gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich.“ (1. Kor 12, 19-22)
An diese Lesung musste ich wieder denken, als mein Mann und ich in der Schule bei der Klassenlehrerin unserer Tochter saßen und uns beraten ließen, welche Schulart wir nach der 4. Klasse wählen sollten. Wir haben versucht, unvoreingenommen in das Gespräch zu gehen. Dass es leider nicht immer so ist, bestätigte sich dann auch.
Schon am nächsten Tag begann ein reger Austausch unter den Kindern, wer denn nun die begehrte Gymnasialempfehlung bekommen hat. Aber stellen wir uns einmal vor, worauf wir zusteuern würden, wenn alle dieselbe elitäre Schule besuchen würden. Wo blieben dann die scheinbar schwächeren Glieder, die unseren Leib doch vollkommen machen können und auch müssen?
Leider verlangt unsere Leistungsgesellschaft immer nur das Beste, Realschulabschluß scheint nicht mehr erstrebenswert zu sein. Gleichzeitig jammern wir über Fachkräftemangel im Handwerk, in der Pflege und im Handel. Für mich ein Widerspruch in sich.
Leider gibt es eher selten Verkäufer oder Köche mit Abitur, nicht, weil der Beruf weniger anspruchsvoll ist, sondern wahrscheinlich eher, weil er nicht so gut bezahlt wird. Vielen würden diese Tätigkeiten sicher Spaß machen, aber wenn wir 13 Jahre zur Schule gegangen sind, dann muss es sich doch auch „gelohnt“ haben? Diese Einstellung erhöht immer mehr den Leistungsdruck auf unsere Kinder.
Sollten wir nicht akzeptieren, dass wir alle verschieden sind?
Wir sind verschieden begabt und verschieden veranlagt. Ist es nicht gerade die gottgewollte Vielfalt, die unser Leben, den Leib, so bunt macht? Wenn alle das gleiche können und das gleiche denken, wie eintönig wäre diese Welt. Vielleicht sollten wir uns auch alle etwas mehr ausprobieren und sowohl mal unter als auch über unser Niveau schauen. Da finden wir sicherlich noch Dinge, die uns ansprechen und die wie für uns gemacht sind. Für die vermeintlich einfacheren Berufe braucht man ganz andere Begabungen, die vielleicht nichts mit Mathematik und Physik zu tun haben, aber mit Herz, Empathie und Mitgefühl.
Ein Leib und viele Glieder, ein Bibelvers, den wir alle mal wieder lesen sollten.

Manuela Paflitschek, Pastorale Mitarbeiterin