Die Farben dieser Welt

Die Farben dieser Welt

Vor langer Zeit begannen die Farben dieser Welt sich zu streiten. Jede behauptete, sie sei die Beste, die Wichtigste, die Nützlichste oder die Beliebteste.

Grün sagte:
Natürlich bin ich die wichtigste Farbe! Ich lasse die Pflanzen wachsen. Alles, was lebt, ist grün! Ich wurde ausgesucht für das Gute und die Pflanzen. Ohne mich würde die Erde sterben. Ich bin die Farbe der Hoffnung.
Hellblau unterbrach:
Du denkst nur an die Erde, aber schau den Himmel und das Meer an. Es ist das Wasser, das alles Leben erschafft. Der Himmel steht für Frieden. Ohne Frieden wärt ihr alle ärmer. Ohne Blau kann niemand sein.
Orange meldete sich:
Ich bin die Farbe der leckersten Frucht: der Orange. Ich bringe wichtige Vitamine. Außerdem bin ich die Farbe der Energie: In meiner Nähe sind alle fröhlich!
Lila fuhr dazwischen:
Ich bin die Farbe der Macht: Fürsten, Könige und Bischöfe tragen mich!
Ich bin die Macht. Niemand zweifelt an mir und alle hören mir zu!
Gelb lachte:
Ich bringe Lachen und Wärme in die Welt! Die Sonne ist gelb, der Mond ist gelb und die Sterne; auch die Sonnenblume und die Zitrone.
Rot trat auf:
Ich bin Rot – das Blut und das Leben! Ich bin die Gefahr, die Tapferkeit und die Liebe! Ohne mich wäre die Erde so langweilig wie der Mond! Ich bin das Böse, die Wahrheit und der Tod!
Da sprach Blau:
Ich bin die Farbe der Stille. Ihr nehmt mich kaum wahr, doch wäre ohne mich alles oberflächlich. Ich bringe die Gedanken, die Überlegungen und Zwischentöne. Ich bin der Glaube, die stillen Momente und der innere Frieden!

Da begannen die Farben laut zu streiten! Sie bemerkten nicht, dass der
Himmel immer dunkler wurde. Es begann zu grollen und plötzlich donnerte und blitzte es!
Regen prasselte herab.
Ängstlich drückten sich die Farben aneinander.

Da sprach der Regen:
Ihre dummen Farben streitet euch untereinander und versucht, besser als die anderen zu sein!
Wisst ihr nicht, dass ihr alle einzigartig seid und etwas ganz Besonderes?
Reicht euch die Hände und kommt zu mir!

Die Farben taten, was der Regen ihnen aufgetragen hatte: Sie nahmen sich bei den Händen, und es bildete sich … ein Regenbogen!

Die Sonne fuhr fort:
„Von nun an, wenn es regnet, werdet ihr einen Regenbogen bilden: Denn
damit zeigt ihr, dass ihr in Frieden leben könnt! Der Regenbogen ist ein
Zeichen der Hoffnung und Versöhnung!“ Durch meine Strahlen werdet ihr
als Farben erst sichtbar.

In unserer Geschichte hat jede Farbe gemeint, die wichtigste, die schönste und die beste zu sein. Wenn keine Farbe etwas mit der anderen zu tun haben möchte, weil sie meint besser zu sein, dann steht sie ganz schön alleine da.
Die Sonne hat es geschafft, die Farben miteinander zu versöhnen; denn nur wo Licht ist, können Farben sichtbar werden.
Wir haben schon oft beobachten können, dass in Verbindung mit Regen und Sonnenschein ein Regenbogen entsteht. Sieben Farben bilden eine Brücke. Sieben Farben verbinden sich zu einem Bogen. Sieben Farben erinnern, dass Gott uns nahe ist.

Die Sonne ist ein Bild für Gott. Wo Gott ist, ist Licht. Wo Gottes Licht in den Herzen der Menschen leuchten kann, da kann das Leben der Menschen bunt und schön werden.

(Lesung aus dem Leben anlässlich des Dankgottesdienstes für Pfarrer Nagler am 22.09.24)

Gebet zum Weltmissionssonntag 2024

Herr, du malst den Himmel blau und das Meer
in allen Farben so schön und lebendig.
Wenn Wind und Wasser tanzen, tanzen sie für dich.
Doch der Meeresspiegel steigt leise.
Sei bei allen, die sich davor fürchten.
Die ihr Heim verlieren, ihre Familiengräber und ihre Identität;
denn ihre Hoffnung, sie gilt dir.
Du lässt Frauen und Kinder lachen, voller Gaben, so mutig und klug.
Viele rudern kraftvoll das Boot,
doch nicht alle finden das rettende Ufer, sondern erleben Gewalt.
Schaffe den Verletzten Gerechtigkeit, hilf ihnen Heilung zu finden
und wo möglich vergeben zu können; denn ihre Hoffnung, sie gilt dir.
Du pflanzt Hoffnung auch in mich, doch was erhoffst du dir von mir?
Kann ich selbst Hoffnung sein für deine Schöpfung, deinen Frieden?
Auch ich sitze in dem Boot.
Stell auch meine Füße auf trockenen Grund
und gib mir den Mut, voranzugehen;
denn meine Hoffnung, sie gilt dir.

Satyagraha – Festhalten an der Wahrheit

Satyagraha – Festhalten an der Wahrheit
(Gedanke der gewaltlosen Durchsetzung des als wahr Erkannten)

Satyagraha ist Seelenkraft, und immer wenn dem Gebrauch von Waffen oder physischer oder roher Gewalt Raum gegeben wird, dann ist im gleichen Ausmaß weniger Möglichkeit für Seelenkraft. Das sind nach meiner Auffassung rein gegenwendige Kräfte…

Es besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen passivem Widerstand und Satyagraha. Wenn wir meinen und zu verstehen geben, wir seien schwach und hilflos und deshalb nur zu passivem Widerstand fähig, dann wird unser Widerstand uns niemals stark machen, und wir werden beim geringsten Anlass unseren passiven Widerstand als Waffe der Schwachen aufgeben.

Sind wir hingegen Satyagrahis und leisten wir Satyagraha und glauben wir an unsere Stärke, so werden wir von Tag zu Tag stärker werden…
Und während im passiven Widerstand kein Raum für Liebe ist, hat in der Satyagraha der Hass keinen Platz, verstößt er doch gegen ihr Prinzip.

Während beim passiven Widerstand Raum ist für Waffengebrauch, wenn die Gelegenheit sich bietet, ist in der Satyagraha physische Gewalt unter allen Umständen aus- geschlossen.

(Mahatma Gandhi, 1869-1948)

Niemals Gewalt!

Niemals Gewalt!

Jenen aber, die jetzt so vernehmlich nach härterer Zucht und straffen Zügeln rufen, möchte ich das erzählen, was mir einmal eine alte Dame berichtet hat.
Sie war eine junge Mutter zu der Zeit, als man noch an diesen Bibelspruch glaubte, dieses »Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben«. Im Grunde ihres Herzens glaubte sie wohl gar nicht daran, aber eines Tages hatte ihr kleiner Sohn etwas getan, wofür er ihrer Meinung nach eine Tracht Prügel verdient hatte, die erste in seinem Leben. Sie trug ihm auf, in den Garten zu gehen und selber nach einem Stock zu suchen, den er ihr dann bringen sollte. Der kleine Junge ging und blieb lange fort. Schließlich kam er weinend zurück und sagte: »Ich habe keinen Stock finden können, aber hier hast du einen Stein, den kannst du ja nach mir werfen.«
Da aber fing auch die Mutter an zu weinen, denn plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Das Kind musste gedacht haben: »Meine Mutter will mir wirklich weh tun, und das kann sie ja auch mit einem Stein.« Sie nahm ihren kleinen Sohn in die Arme, und beide weinten eine Weile gemeinsam. Dann legte sie den Stein auf ein Bord in der Küche, und dort blieb er liegen als ständige Mahnung an das Versprechen, das sie sich in dieser
Stunde selber gegeben hatte: »Niemals Gewalt!«

Astrid Lindgren, schwedische Schriftstellerin (Auszug aus ihrer Rede anlässlich der Preisverleihung des Friedenspreises des Dt. Buchhandels 1978)

Allahs Bote

Allahs Bote

Eine alte arabische Sage erzählt von einem Scheik, den man den »Großen« nannte.

Eines Tages stand ein junger Mann in seinem Zelt und grüßte ihn. »Wer bist du?« fragte der Scheik. »Ich bin Allahs Bote und werde der Engel des Todes genannt.« Der Scheik wurde ganz bleich vor Schrecken. »Was willst du von mir?«-»Ich soll dir sagen, dass dein letzter Tag gekommen ist. Mach dich bereit. Wenn morgen Abend die Sonne untergeht, komm ich, um dich zu holen.«

Der Bote ging. Das Zelt war leer. Fröhlich klatschte der Scheik in die Hände und befahl einem Sklaven, das schnellste und beste Kamel zu satteln. Er lächelte noch einmal, weil er an den Boten dachte, der morgen Abend das Zelt leer finden würde.

Bald war der Scheik weit in der Wüste draußen. Er ritt die ganze Nacht und den ganzen Tag trotz der brennenden Sonne. Er gönnte sich keine Rast. Je weiter er kam, umso leichter war ihm ums Herz. Die Sonne war nicht mehr weit vom Rande der Wüste entfernt. Er sah die Oase, zu der er wollte. Als die Sonne unterging, erreichte er die ersten Palmen. Jetzt war er weit, weit weg von seinem Zelt. Müde stieg er ab, lächelte und streichelte den Hals seines Tieres: »Gut gemacht, mein Freund.« Er führte sein müdes Tier zum Brunnen. Und am Brunnen saß ruhig und wartend der Bote, der sich Engel des Todes genannt hatte, und sagte: »Gut, dass du da bist. Ich habe mich gewundert, dass ich dich hier, so weit entfernt von deinem Zelt abholen sollte. Ich habe mit Sorge an den weiten Weg und an die brennende Sonne und an dein hohes Alter gedacht. Du musst sehr schnell geritten sein…«

(nach Fiedler)

Der den Tod auf Hiroshima warf

Der den Tod auf Hiroshima warf

Der den Tod auf Hiroshima warf
Ging ins Kloster, läutet dort die Glocken…
Der den Tod auf Hiroshima warf
Sprang vom Stuhl in die Schlinge, erwürgte sich.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Fiel in Wahnsinn, wehrt Gespenster ab
Hunderttausend, die ihn angehen nächtlich,
Auferstandene aus Staub für ihn.

Nichts von alledem ist wahr.
Erst vor kurzem sah ich ihn
Im Garten seines Hauses vor der Stadt.
Die Hecken waren noch jung und die Rosenbüsche zierlich.
Das wächst nicht so schnell,
Dass sich einer verbergen könnte
Im Wald des Vergessens.
Gut zu sehen war
Das nackte Vorstadthaus, die junge Frau
Die neben ihm stand im Blumenkleid
Das kleine Mädchen an ihrer Hand
Der Knabe, der auf seinem Rücken saẞ
Und über seinem Kopf die Peitsche schwang
Sehr gut erkennbar war er selbst
Vierbeinig auf dem Grasplatz, das Gesicht
Verzerrt von Lachen, weil der Photograph
Hinter der Hecke stand, das Auge der Welt.

Marie Luise Kaschnitz

Es zählt nicht in der Welt

Es zählt nicht in der Welt

Es zählt nicht in der Welt, kleiner Chinese,
Dessen Namen ich nicht einmal aussprechen kann,
Und dessen Angesicht mir fremd ist und unbekannt,
Er zählt nicht in der Welt, dein Tod…

Doch fallen fühl ich dich, als fiel ich selbst,
Und nach dem Herzen, wo der kalte Stahl
Deinem Blut den Ausweg schnitt,
Hingreifen vier, hingreifen dein und meine Hände…

Dass Schanghai brennt und lodert,
Und deine Frau stirbt, und dein Kind stirbt,
Und eine zweite Bombe dir den Leib zerfetzt,
Es zählt nicht in der Welt, kleiner Chinese…

Doch in dem Lodern und Brennen von Schanghai
Brennt und lodert das Dorf, in dem ich wohne,
Und stirbt meine Frau und stirbt mein Kind,
Und stürzt mein Haus in Trümmer…
Doch dies alles zählt nicht in der Welt, kleiner Chinese,
Dessen Namen ich nicht einmal aussprechen kann,
Und dessen Angesicht mir fremd ist und unbekannt,
Er zählt nicht in der Welt, dein Tod…

Marnix Van Gavere

Der unscheinbare Bruder

Der unscheinbare Bruder

Sechs von sieben Brüdern gingen auf die Arbeit. Der siebte besorgte den Haushalt. Wenn die sechs Brüder müde von der Arbeit nach Hause kamen, fanden sie das Haus geordnet, das Essen bereit und alles in bester Ordnung. Darüber freuten sie sich und lobten den siebten Bruder.
Aber einer der Brüder wollte klüger sein als die anderen. Er nannte den siebten Bruder einen Faulenzer und Tagedieb, der auch mit zur Arbeit gehen und sein Brot verdienen sollte. Dieses böse Wort fand leider bei den anderen Gehör. Sie beschlossen einmütig, dass ihr siebter Bruder nicht länger seines bisherigen Amtes walten sollte. Sie nötigten ihn, auch am frühen Morgen mit auf die Arbeit zu gehen.
Und dann machten die sieben Brüder eine überraschende Erfahrung. Als sie müde und abgespannt am Abend von der Arbeit nach Hause kamen: Kein heller freundlicher Lichtschein winkte ihnen entgegen. Keine fürsorgende Hand hatte das Hauswesen geordnet. Kein Tisch war gedeckt. Kein Bruder stand an der Tür und empfing sie mit einem herzlichen Wort.
Und jetzt erst merkten sie, wie dumm sie gehandelt hatten, als sie ihren siebten Bruder seines stillen Dienstes enthoben hatten. Sie fühlten sich, weil es ihre eigene Schuld war, doppelt elend und verlassen. Dann beschlossen sie, den siebten Bruder wieder in sein Amt einzusetzen.
Das verlorene Glück der sieben Brüder kehrte mit seinem heimlichen Segen zu ihnen zurück. Sie lebten miteinander einträchtig und in Frieden.

(Märchen der Gebrüder Grimm)

 

Im Anfang – Du

Im Anfang – Du

Im Anfang
bist du
ewiges, verborgenes Geheimnis
schöpferisch Liebende
in deiner Sehnsucht
deinem Wort
Ich will, dass du bist
Im Anfang
bin ich
gewollt und geliebt
geschaffen in der Erde Tiefe
beatmet von deiner Zärtlichkeit
Staunenswert
Du
in deinem beständigen Wirken
aus Liebe
in den vielfältigen Spuren
deiner Schöpfung
und Ich – dein Ebenbild

hineingesetzt
in deine Welt, in das Leben
beschenkt und begabt
mit Augen, damit sie wahrnehmen
die Schönheit der Schöpfung
und ihre Verletzlichkeit
mit Ohren, damit sie hören
die stille Hoffnung
und die Not der Geschöpfe
mit einem Herzen, damit ich fühle
dein schweigendes Dasein
und das Leben,
das gestaltet werden will
durch mein Mit-wirken
in Verantwortung und Solidarität
Im Anfang – Du
in der Sehnsucht deiner Liebe
in Allem

(Inspiriert vom Hungertuch zu Genesis 2,7-9)

Teelöffel voller Sand dazutun

Teelöffel voller Sand dazutun

Ich glaube ganz ehrlich, dass die Zukunft aus
Millionen Kleinigkeiten besteht, die uns retten werden.
Ich stelle mir eine große Wippe vor und am Ende dieser
Wippe hängt ein halbvoller Korb mit Steinen drin.
Das andere Ende der Wippe ist hoch in der Luft.
Dort hängt ein zu einem Viertel gefüllter Korb mit Sand.
Und einige von uns haben einen Teelöffel in der Hand
und versuchen, den Sand im Korb aufzufüllen.
Viele Leute lachen uns aus und sagen:
„Ach, Leute wie ihr versuchen das seit Tausenden von Jahren
und der Sand läuft ebenso schnell wieder raus, wie ihr ihn rein tut.“
Aber wir sagen: „Wir Leute mit Teelöffeln in der Hand werden immer mehr.“
Und wir denken: „In ein paar Jahren werdet ihr sehen,
dass die ganze Wippe, zupp, in eine andere Richtung geht.“
Und die Leute werden sagen: „Himmel, wie ist das so plötzlich passiert?“
Wir und alle unsere kleinen Teelöffel.
Stimmt allerdings, wir müssen weiterhin Sand einfüllen,
denn, wenn wir nicht weiterhin Teelöffel voller Sand dazutun,
wird er auslaufen und die Steine werden wieder nach unten sausen.
Wer weiß?

(Peter Seeger)