„Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit.“ Das klingt so, wie wenn Jugendliche sagen: Ich gehe in die Disco und andere sagen: Wir gehen auch mit. Auf dieser Ebene sind die Jünger Jesu nach den dramatischen Ereignissen der letzten Wochen angekommen. Einst hatte er sie vom ihrem Beruf weggerufen. Sie hatten alles stehen und liegen gelassen und jetzt kehren sie wieder zu ihren alten Berufen zurück, so, als ob nichts gewesen wäre. Dazu kommt noch der Misserfolg: eine ganze Nacht gefischt und nichts gefangen. Dann noch der Mann am Ufer: Habt ihr einen Fisch zum Essen? Nein, nichts, gar nichts. Frustrierender könnte die Situation nicht sein.
Was hat die Situation gewendet? Nichts anderes als damals, als Jesus sie aufrief mit ihm zu gehen. Hier wieder ein so ungewohntes Wort: „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas finden.“ Gegen ihre eigene Berufserfahrung tun sie es und erfahren eine Überfülle. Der Fang von 153 Fischen, – so groß war die Zahl der damals bekannten Fischarten, – katapultierte sie in eine Fülle hinein, die sie nur von Jesus her kannten, der sagte: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ Ob dieser Erkenntnis steckte Petrus sein Obergewand in den Gürtel, um leichter schwimmen zu können, und eilt zu Jesus. Dort erwartete ihn und die anderen ein Kohlenfeuer mit Fisch und Brot und der Aufforderung: „Kommt her und esst!“ Da war der Boden bereitet und sie durchbrachen ihre Traumata und fanden sich wieder in den Fußspuren Jesu.
Das anschließende Gespräch zwischen Jesus und Petrus sollte den neuen Aufbruch noch einmal festigen. Durch die dreimalige Befragung des Petrus wurde auf der einen Seite an die vorherige Geschichte der dreimaligen Verleugnung durch Petrus erinnert, auf der anderen Seite die Verleugnung sowie sonstige Schattenseiten durch die dreimalige Frage: „Liebst du mich“ aufgehoben und der Weg für die Zukunft bereitet.
Interessant an diesem Fragegespräch zwischen Jesus und Petrus ist, dass die beiden ganz verschiedene Worte für „lieben“ verwenden, was leider in der deutschen Übersetzung nicht sichtbar wird. Jesus verwendet bei seiner Frage: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?“ das griechische Wort: agapein. Wir kennen das Wort von der Agapefeier im Thomashaus. Agape meint jene Liebe, die das Leben gibt, meint das große Ganze, die Liebe als Grundhaltung. Die Antwort des Petrus: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe.“ verwendet ein ganz anderes griechisches Wort für lieben, nämlich philein. Dieses Wort umschreibt die Liebe zwischen Freunden oder Freundinnen.
Eigentlich müsste man übersetzen, dass Jesus fragt: „Petrus liebst du mich?“, und Petrus antwortet: „Ich mag dich schon.“ Dieses Spiel wiederholt sich zweimal, dann geht Jesus auf das Niveau des Petrus und verwendet den Ausdruck des Petrus: philein in seiner dritten Frage, ob er ihn liebe. Das bemerkt Petrus natürlich und wird traurig. Er bemerkt aber auch, dass Jesus von ihm nichts Übermenschliches verlangt. Dies befreit ihn wiederum und er antwortet: „Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebe. Und Jesus ruft ihn aufs Neue in seine Nachfolge mit dem Auftrag: „Weide meine Schafe!“
Die Begegnung am See wird zu einer Sternstunde nach den dramatischen Ereignissen der Kreuzigung Jesu, der daraufhin folgenden Entmutigung, ja mehr des völligen Verlierens der Orientierung, wie es weitergehen soll.
Der Versuch, nach all den Erfahrungen mit Jesus, wieder in den Alltag zurückzukehren als wäre nichts gewesen, schlägt fehl. Am Ufer, am Land, an der Grenze von See und Land, da erwartet sie wieder der Rufer des Beginns.
Es hätte auch ganz anders ausgehen können. Von Christoph Hein gibt es eine Novelle, in der er das Leben einer Ärztin schildert, deren Ehe in die Brüche ging. Dies schockierte sie so, dass sie niemanden mehr an sich heranlässt. Sie schreibt: „Ich bin auf alles eingerichtet, ich bin gegen alles gewappnet, mich wird nichts mehr verletzen. Ich bin unverletzlich geworden. Ich habe in Drachenblut gebadet, und kein Lindenblatt ließ mich irgendwo schutzlos. Aus dieser Haut komme ich nicht mehr heraus. In meiner unverletzlichen Hülle werde ich krepieren…“ Die Novelle schließt folgendermaßen: „Es geht mir gut. Heute rief Mutter an, und ich versprach bald vorbeizukommen. Mir geht es glänzend, sagte ich ihr… Ich bin ausgeglichen. … Ich habe Pläne. Ich arbeite gerne in der Klinik. … Ich habe einen hervorragenden Frauenarzt, schließlich bin ich Kollegin. Was mir Spaß macht, kann ich mir leisten. Ich bin gesund. Alles, was ich erreichen konnte, habe ich erreicht. Ich wüsste nichts, was mir fehlt. Ich habe es geschafft. Mir geht es gut.“ Und dann steht nur noch das Wort: Ende.
Dieses Leben ist im wahrsten Sinne zu Ende. Nichts mehr zu erwarten. Es läuft alles auf einer langweiligen, mittelmäßigen Temperatur. So hätte es den Jüngern Jesu auch gehen können. Sie wären wieder in ihren Beruf zurückgekehrt, hätten ihr Auskommen gehabt, sicher mit manchen Misserfolgen, aber das gehört zum Leben. Sie hätten täglich ihre Arbeit verrichtet und wären alt geworden und dann gestorben. Ende. All die Hoffnungen, die Jesus ihn ihnen geschürt hatte, nach einem anderen Leben, nach einem anderen Leben auch für andere, all das wäre zu Ende gewesen. Dagegen hätten sie sich, wie die Frau in dieser Novelle, abgeschottet.
Aus diesem Dilemma hat die Szene hier am Ufer sie herausgeholt.
Wie dieses andere Leben aussah, davon erzählte die gehörte Lesung. Hier finden wir die Jünger Jesu keineswegs bei ihren alten Berufen. Wir finden sie in Jerusalem, die Botschaft Jesu verkündend, so unüberhörbar, dass Jesus zum Stadtgespräch wird und die Autoritäten sich genötigt sehen einzugreifen. Sie bestellen die Jünger Jesu vor den Hohen Rat, verhören sie und verbieten ihnen streng, in Jesu Namen zu lehren. Die Antwort von Seiten der Jünger könnte nicht kompromissloser ausfallen: „Petrus und die Apostel antworteten: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Und sie beginnen die Geschichte mit Jesus ganz anders zu deuten: „Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr ans Holz gehängt und ermordet habt. Ihn hat Gott als Anführer und Retter an seine rechte Seite erhoben, um Israel die Umkehr und Vergebung der Sünden zu schenken.“
Dabei ist auffallend, dass die Jünger zwar das Verbrechen benennen, aber von jeder Strafandrohung oder Rache absehen. Das ist nicht ihr Thema. Ihr Thema ist die Verkündigung des Heilswirkens Jesu.
Die Inhalte der heutigen Botschaft betreffen insofern auch heute noch unser Leben, als es darum geht, die Komfortzonen zu verlassen und ein „Mehr“ des Lebens anzustreben, ein Bekenntnis zur Botschaft Jesu. Es gilt, wie die Jünger, dem Wort Jesu mehr zuzutrauen als unserer Sicht, was möglich oder nicht möglich ist. Dann gilt vielleicht auch das Poem von Marie-Luise Kaschnitz:
Manchmal stehen wir auf. Stehen wir zur Auferstehung auf.
Mitten am Tag. Mit unserem lebendigen Haar.
Mit unserer atmenden Haut.
(FN)