GEDANKEN ZU JES 43,16-21 U. JOH 8,1-11 AM MISEREOR-SONNTAG

Ein düsterer Hintergrund begleitet heute die Lesung. Ein ganzes Volk war in die Gefangenschaft nach Babylon verschleppt worden. „An den Flüssen von Babylon, da saßen wir und weinten.“ Wir kennen diesen Ps 137, vor allem aus dem Disco-Hit „By the river of Babylon“. Sie hatten alles verloren, den Tempel, ihr Land. Da ruft ihnen der Schreiber der Lesung entgegen: „Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, achtet nicht mehr! Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?“ Vergoldet nicht nostalgisch eure Vergangenheit, hofft, schaut und vertraut darauf, was in der Zukunft möglich ist. Man möchte so, dasselbe der heutigen Welt zurufen.
Im heutigen Evangelium wird eine Person bloßgestellt. Eine Frau, des Ehebruches ertappt, vom Mann ist typischerweise nicht die Rede, wird schonungslos zur Steinigung in die Mitte gestellt.

In islamischen Ländern oder bei uns im Internet kennt man noch „solch grausames in die Mitte gestellt werden“ zur Aburteilung. Doch den Pharisäern geht es hier nicht nur um die Frau. Sie wird hier zum Objekt, zum Mittel, zum Zweck, um Jesus gleich mit zu erledigen: „Mit diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen.“ Und tatsächlich heißt es am Ende des Kapitels: „Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Jesus aber verbarg sich und verließ den Tempel“ (Joh 8,59).
Was tut nun Jesus hier? Er bückt sich und schreibt in den Sand. Er deeskaliert, würde man heute sagen, lässt das Mütchen der Pharisäer abkühlen und erst als sie hartnäckig auf einer Antwort bestehen, reagiert er.

Jesus konnte also, wie es diese Stelle vermuten lässt, schreiben. Wieso schrieb er dann nichts nieder, könnte man weiter fragen. Aber waren es in unserem Evangelium nicht ausgerechnet die Schriftgelehrten, die Pharisäer, die durch ihre niedergeschriebenen Gesetze, menschliches Leben vernichten wollten, die blind waren für das Leben? Hat überhaupt jemand die Todesstrafe verdient, auch wenn es gesetzlich niedergeschrieben ist? Woher nehmen Gesetze überhaupt ihre Legitimation? Müssen sie nicht immer neu hinterfragt werden, ob sie noch dem Leben dienen oder dieses beschädigen, vernichten? Wie viele Gesetze wurden schon in den Sand geschrieben? Wir dürfen da nur an die vielen Corona-Verordnungen denken.
Jesus jedenfalls scheint so gedacht zu haben. Der Evangelist Johannes lässt dann auch Pilatus zur Kreuzigung Jesu entlarvend sagen: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben“ (Joh 19,22). „Das Gesetz über den Menschen zu stellen, ist das Wesen der Gotteslästerung“, meinte Simone Weil und der heilige Ambrosius fügte hinzu: „Wo das Erbarmende ist, da ist Gott; wo Härte und Strenge herrschen, mögen vielleicht die Diener Gottes sein, nicht aber Gott.“ Wohl wahr.
Nun, Jesus reagierte hier und drehte den Spieß um: „Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“ Man kann sich die Szene vorstellen, wie einer nach dem anderen bedröppelt wegging: „Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten.“ Dann erst richtet sich Jesus an die Frau, fragt aber nicht nach der Tat, sondern verweist auf das Schuldeingeständnis derer, die sie gerade noch töten wollten: „Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt?“ Da erst weiß sich die Frau ermutigt, zu reden. Jesus ermutigte sie wieder zum Leben, aber meinte, dass sie aufpassen und nicht so weiterleben solle.

Heute ist der Misereor-Sonntag mit dem Motto: „Es geht! Gerecht.“ Im Zentrum dieses Mottos steht der Einsatz für die Rettung des Klimas. Wenn man die Prognosen der Wissenschaftler hört, könnte, müsste die jüngste Generation noch den Kollaps des Klimas erleben, derart, dass die Südhälfte der Erde zur Wüste und die Nordhälfte der Erde von Stürmen und Überschwemmungen heimgesucht wird. Die Flutkatastrophe im Ahrtal war sozusagen nur ein Vorbote. Die Erderwärmung wird den Meeresspiegel steigen lassen und manche Landstriche an den Ufern werden vom Erdboden verschwinden. Angesichts dieser Aussichten kann man den nahezu verzweifelten Wutausbruch von Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel in New York verstehen: „Wie konntet Ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit Euren leeren Worten? Wir stehen am Anfang eines Massenaussterbens und alles, worüber Ihr reden könnt, ist Geld und die Märchen von einem für immer anhaltenden wirtschaftlichen Wachstum – wie könnt Ihr es wagen?“

Wenn wir hier auf die Bildebene des Evangeliums gehen, stehen wir als Angeklagte im Zentrum. Die Erde wird uns anklagen, die kommenden Generationen werden uns anklagen.
Hat uns Gott schon aufgeben oder wird er erscheinen und etwas in den Sand schreiben und am Schluss sagen: Ich verurteile euch nicht, aber kehrt um und sündigt nicht mehr?

Es war vor allem Papst Franziskus, der die Anklage der Erde und der kommenden Generationen sehr ernst genommen hat. Er schreibt in der Umwelt-Enzyklika Laudato si`: „Damit neue Leitbilder für den Fortschritt aufkommen, müssen wir „das Modell globaler Entwicklung in eine [andere] Richtung … lenken“, was einschließt, „über den Sinn der Wirtschaft und über ihre Ziele nachzudenken, um Missstände und Verzerrungen zu korrigieren“. … Oft nimmt die wirkliche Lebensqualität der Menschen im Zusammenhang mit einem Wirtschaftswachstum ab, und zwar wegen der Zerstörung der Umwelt, wegen der niedrigen Qualität der eigenen Nahrungsmittel oder durch die Erschöpfung einiger Ressourcen“ (LS 194).
Und in seiner letzten Enzyklika Fratelli tutti, schreibt er: „Ein Einzelner kann einer bedürftigen Person helfen, aber wenn er sich mit anderen verbindet, um gesellschaftliche Prozesse zur Geschwisterlichkeit und Gerechtigkeit für alle ins Leben zu rufen, tritt er in »das Feld der umfassenderen Nächstenliebe, der politischen Nächstenliebe ein«.

Es geht darum, zu einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung zu gelangen, deren Seele die gesellschaftliche Nächstenliebe ist (FT 180).
Was also würde uns Gott heute in den Sand schreiben?
Im Misereor-Kalender dieses Jahres, jeweils an den Montagen, gibt es viele Tipps, wie nachhaltig das Leben gelebt werden kann.
• Am 7. März wird Papier, auch Toilettenpapier, mit dem Umweltsiegel
„Blauer Engel“ empfohlen.
• Am 11. März wird die Initiative einer Bäckerei erzählt, der ein Brötchen mehr gibt, wenn der Kunde mit dem Fahrrad kommt.
• Am 17. März wird darauf hingewiesen, dass jeder Mensch in Deutschland pro Tag 125 Liter Wasser verbraucht: 36% zum Baden und Duschen; 27% für die Toilettenspülung; 12% zum Händewaschen; der Rest für Geschirr-
spülen, Gartenbewässerung, Autopflege…; nur 5% werden für Essen und Trinken verwendet.
• Am 11. April: Im Jahr 2019 wurden 17% oder 931 Millionen Tonnen der weltweit produzierten Lebensmittel nicht gegessen, sondern entsorgt. In deutschen Haushalten wurden 6 Millionen Tonnen Lebensmittel wegge-
worfen.
Leider hat man zu oft den Eindruck, dass solche Zahlen tatsächlich in den Sand geschrieben sind und schnell vom Winde verweht werden. Gott hat uns nicht abgeschrieben. Er möchte mit uns das Leben lebenswert erhalten. (FN)

In neun Monaten ist Weihnachten

In neun Monaten ist Weihnachten

Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, Du Begnadete, der Herr sei mit Dir (Lk 1, 28)
Auf der Suche nach Inspiration habe ich mir den diesjährigen Fastenkalender vorgenommen. Dabei ist mir aufgefallen, dass in neun Monaten schon Weihnachten ist. Und dass wir heute, mitten in der Fastenzeit, den Tag der Mariä Verkündigung begehen.
Interessant, wie wichtig dieser Tag für die ganze Christenheit ist und wie viele ihn gar nicht „auf dem Schirm haben“ Wenn man uns fragt, welcher der wichtigste Feiertag für uns ist, antworten die meisten: Ostern. Verständlich, denn auf die Auferstehung Jesu basiert unser Glaube.
Aber ohne das Zusammentreffen von Maria und dem Engel, wäre Jesus vielleicht gar nicht auf die Erde gekommen. Dann gäbe es erstmal kein Weihnachten und auch die Fastenzeit wäre nicht nötig, denn wir bräuchten keine Vorbereitung auf das dann nicht vorhandene Ostern.
Was hat sich Maria wohl an dem Tag gedacht? Erschrocken ist sie laut der Bibel schon, aber sie überlegt auch, was das alles zu bedeuten hat. Sie hat die Verkündigung einfach hingenommen ohne sich zu beklagen oder alles zu hinterfragen. Ob sie wohl geahnt hat, welche große Verantwortung ihr Gott übertragen hat, seinen Sohn auszutragen und aufzuziehen?
Auch für uns heutzutage ist es nicht abzusehen, wenn wir das erste Mal Eltern werden, was sich in unserem Leben ändern wird. Aber wir überlassen nichts dem Zufall oder der Vorsehung, sondern wir planen die ersten Lebensjahre unseres Kindes von dem Moment an, in dem wir von ihm erfahren. Es wird eine Hebamme gesucht, Kindergärten angeschaut und die Anmeldung abgegeben, obwohl das Kind noch nicht einmal geboren ist. Wenn es dann da ist, findet es sich in einem liebevoll ausgestatteten Kinderzimmer wieder, es hat genügend Kleidung in mehreren Größen und es ist wirklich alles vorhanden, was es braucht (oder auch nie brauchen wird).
Ganz anders Maria. Sie sagt, ohne groß nachzudenken:
Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel (Lk 1, 38)
Aber zurück zum Anfang: Wenn ich die jetzt das Frühlingserwachen sehe, mit den ersten Blumen und den ersten warmen Tagen, möchte ich eigentlich nicht an Weihnachten denken. Weder an die kalte, dunkle Jahreszeit und den ganzen Stress, den dieses Fest in der Regel mit sich bringt. Ich freue mich jetzt erst einmal auf das Osterfest mit allem was dazu gehört und nehme mir heute bewusst ein paar Minuten Zeit und denke an Maria, für mich eine starke und bewundernswerte Frau.

Manuela Paflitschek, Pastorale Mitarbeiterin

Gebet aus dem MartinusBrief März-April 2022

Missbrauch

Gott, du Freund des Lebens.
Du bist allen nahe, die bedrängt sind und leiden.
Wir denken heute besonders an die Kinder,
Jugendlichen und Erwachsenen,
die sexuellen Missbrauch erleiden mussten und
müssen – auch in deiner Kirche.

Wir klagen vor dir
über die Gewalt, die Täter ihren Opfern an Leib und Seele antun,
über zerstörtes Leben, das oft niemand wieder gut machen kann.
Du unser Gott, höre unsere Klage.

Wir bekennen vor dir
das Wegschauen, Schweigen und Nichtstun
derer, die die Taten geahnt haben und ahnen.
Du unser Gott, höre unsere Klage.

Wir wollen darauf achten, was viele nicht sehen
wollen:
sexuelle Übergriffe und den Missbrauch von Vertrauen und Macht.
Du unser Gott, steh uns bei.

Wir wollen hören
auf die Geschichten der Opfer.
Wir wollen Anteil nehmen an ihrem Schmerz und ihrer Einsamkeit.
Du unser Gott, steh uns bei.

Wir wollen sprechen
von der Verantwortung, die jeder von uns trägt.
Wir wollen sprechen über Hilfe und Auswege aus der Not.
Du unser Gott, gib uns Kraft und Mut.

Wir wollen schweigen,
wo Erklärungen und Ratschläge nicht angebracht sind.
Du unser Gott, gib uns Kraft und Mut.
Wir wollen uns freuen
über die Stärke und Kraft der Betroffenen,
über die Solidarität derer, die sie begleiten,
über alle Menschen, die mitarbeiten, um einen besseren Schutz zu verwirklichen.
Du unser Gott, mach unsere Hoffnung stark.

Wir wollen hoffen
auf Aufbrüche und neues Leben schon in dieser Welt,
auf die Umkehr der schuldig Gewordenen,
auf deine Gerechtigkeit heute und am Ende der Zeiten,
auf Heilung aller Wunden, die allein du schenken kannst.
Du unser Gott, mach unsere Hoffnung stark.

Lebendiger Gott, sende uns deinen Geist und sei
mit uns auf diesem Weg,
durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn.
Amen.

Sabine Hesse, Präventionsbeauftragte des Bistums Rottenburg-Stuttgart

GEDANKEN ZU JER 1,4-5.17-19; LK 4,21-30

„Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt.“ Wie ist das und welche Bedeutung hat dies für unser Leben: aus dem Mutterleib schon ausersehen, geheiligt und bestimmt zu sein?

Etty Hillesum, die dasselbe Schicksal wie Anne Frank und Edith Stein erlitt, aus dem Durchgangslager Westerbork in Holland nach Ausschwitz verfrachtet und vergast worden zu sein, hatte sich zuvor freiwillig für den Dienst in der Krankenbaracke Westerbork gemeldet. Ein Untertauchen, das ihr aus dem Freundeskreis angeboten wurde, lehnte sie ausdrücklich mit der Begründung ab, sie wolle das Schicksal ihres Volkes teilen. Sie schrieb zuvor: „Den größten Raubbau an uns treiben wir selbst. Ich finde das Leben schön und fühle mich frei. Der Himmel ist in mir ebenso weit gespannt wie über mir. Ich glaube an Gott und ich glaube an die Menschen, das wage ich ohne Scham zu sagen. Das Leben ist schwer, aber das ist nicht schlimm. Man muss beginnen, sich selbst ernst zu nehmen, und das übrige kommt von selbst.“
Sie änderte ihre Gestimmtheit auch im Lager nicht: „Unter dem Himmel ist man zu Hause. Auf jedem Fleck der Erde ist man zu Hause, wenn man alles mit sich trägt“, meinte sie zu einem Freund.
Woher diese innere Gestimmtheit, dieser Wagemut: „Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt.“
Diese innere Gestimmtheit, dieser Wagemut hat demnach seinen Ursprung, seinen Keim im Mutterleib. Es ist keine Frage, dass unsere Fähigkeiten später in der Welt versöhnt für das Leben hinzustehen, aus der Verbundenheit im Leib der Mutter geboren werden. Emotionale Nähe und Liebe am Anfang des Lebens durch die Mutter, die Eltern ermöglichen später einen Stand im Leben, der, soweit wie bei Etty Hillesum, gehen kann, ja der eine ausgesprochene Anforderung später an das Leben stellt, für das Leben, auch anderer Menschen, einzutreten.
Lieblosigkeit dagegen macht krank und verhindert den Ruf der Berufung in das Leben. Dies setzt sich dann später fort und kreiert Menschen, die nicht mehr ihrer Lebensberufung folgen, sondern zu Egoisten oder kranken Menschen werden. Dabei spielt die digitale Kommunikation derzeit eine verhängnisvolle Rolle. Der in Berlin lebende Philosoph Byung-Chul Han meinte unlängst: „Wegen der Effizienz und Bequemlichkeit der digitalen Kommunikation meiden wir zunehmend den direkten Kontakt mit realen Personen, ja, den Kontakt mit dem Realen überhaupt. Bestehende Meinungen werden verfestigt, die Realität außerhalb der eigenen Filterblase verdunkelt. Die Fähigkeit, sich auf etwas Neues, Fremdes einzulassen, nimmt dadurch ab.“
Auf der anderen Seite wurde uns im Mutterleib, hoffentlich muss man allerdings sagen, ein Vertrauen in das Leben mitgegeben, das es dann als Berufung zu leben gilt.

Martin Buber meinte einmal: „Die Verbundenheit im Mutterleib mit dem Leben ist so welthaft, dass es wie das unvollkommene Ablesen einer urzeitlichen Inschrift anmutet, wenn es in der jüdischen Mythensprache heißt, im Mutterleibe wisse der Mensch das All, in der Geburt vergesse er es.“
Aber genau darum geht es, dieses Wissen der Verbundenheit, des Wissens um das All, das Leben, den Wagemut für das Leben hinzustehen, nicht zu vergessen. Selbst wer diesen Mut mit der Muttermilch nicht bekommen hat, kann sich später seiner Berufung bewusst werden und durch ein ehrliches Verhalten zu sich selbst, denselben Mut gewinnen, den andere schon im Mutterleib mitbekommen haben.

Die Lesung jedenfalls insistiert darauf, dass Jeremia schon im Mutterleib ausersehen, geheiligt und bestimmt war, und das soll er jetzt nicht vergessen. Er soll seine Berufung als Prophet nicht vergessen. „Du aber gürte dich, tritt vor sie hin und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage! Erschrick nicht vor ihnen! … Ich selbst mache dich zur befestigten Stadt, zur eisernen Säule und zur bronzenen Mauer gegen das ganze Land, gegen die Könige, Beamten und Priester, gegen die Bürger des Landes. Mögen sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten.“
Prophet wird man nicht auf einem kirchlichen Dienstweg, man wird es auch nicht, weil man es gerne möchte oder sich gar für einen Propheten hält. Man wird es durch Berufung, indem man sich auf sein Wesen besinnt.
Wer bedenkt heute noch, dass er zu einer Aufgabe berufen ist, die ihm nicht zuletzt Sinn und Würde in seinem Leben geben würde?

Zurück zu Jeremia: Berufung ist immer auch Gottes Sache. Er hat das erste und das letzte Wort: „Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen …“. Die Gottesbeziehung ist die innere Achse der Berufung. Dabei ist es nicht immer ein Vergnügen seiner Berufung zu folgen. Jedenfalls hier bei Jeremia nicht. Genauso wenig wird da nach unseren Wünschen gefragt. Der Vollzug unserer Berufung, als Vollzug des Glaubens, hat mit Gott zu tun und nicht mit unseren Bedürfnissen oder einer egoistischen selbstzentrierten Selbstbestimmung.
Jesus erfuhr seine Berufung bei der Taufe und verfestigte sie in der Lektüre der Heiligen Schriften. Heute liest er eine Stelle und bezieht Stellung: „Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“
Bei der Diakonenweihe wird zu den zu Weihenden gesagt: „Was du liest, erfasse im Glauben, was du glaubst, verkünde, was du verkündest, erfülle mit Leben.“ Genau das tut Jesus hier. Er füllt das verkündete Wort mit seinem Leben.
Wir können bei Jesus annehmen, dass er seine Berufung schon im Mutterleib erfuhr. Bei der Empfängnis erfuhr Maria durch die Worte des Engels: „Dein Sohn wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vater David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben.“

Was wissen wir, welche Worte über uns am Anfang gesprochen wurden? Es stimmt, was Ignatius von Loyola einmal sagte: „Die meisten Menschen ahnen nicht, was Gott aus ihnen machen könnte, wenn sie sich ihm nur zur Verfügung stellen würden.“ Dieses „zur Verfügung stellen“ ist die größte Herausforderung an unser Leben, denn davon hängt unser Lebensglück ab.
Aus der Berufung erwächst die Sendung, die Gemeinschaft oder der Widerstand sowie letztlich die tiefste Sinnhaftigkeit unseres Lebens. (FN)

GEDANKEN ZU 1 KOR 7,17-23 UND JOH 1,9-14

Das vergangene Jahr 2021 hat uns in die Gefangenschaft von Covid-19 gebracht. Das Gefühl von Unsicherheit, gesundheitlicher Bedrohung, der Wahrnehmung unserer individuellen, biologischen und sozialen Verletzlichkeit und Verwundbarkeit, hat uns ergriffen. Wie damit umgehen?
Nicht nur seit der bevorstehenden Impfpflicht, sondern zuvor schon gab es Zusammenstöße zwischen dem mehrheitlichen Schutzbedürfnis und Sicherheitsanspruch an den Staat und einem wütenden Freiheitsbedürfnis und Freiheitsanspruch gegen den Staat. Wobei der Freiheitsbegriff stark auf einer Ablehnung von Regeln und Beschränkungen beruht und eine eigene Verantwortung für die Bekämpfung der Pandemie ablehnt. Im Gegenteil vertrauten auch die Impfgegner darauf, dass sie im Krankheitsfall in den Krankenhäusern behandelt werden würden.

Wie mit dieser Situation umgehen, steht doch auch der Friede in der Gesellschaft als Herausforderung auf dem Spiel. Wenig hilfreich ist es, die eine oder andere Partei zu kriminalisieren, derart, dass alle, die einer Zwangsimpfung skeptisch gegenüberstehen, Querdenker oder gar Terroristen benannt werden, die eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzen wollen und eine Rückkehr zu einem normalen freien Leben verhinderten, während die andere Seite schnell von einer Corona-Diktatur spricht, sooft Regeln für die Überwindung der Pandemie aufgestellt werden. Letztlich muss es darum gehen, nicht Personen zu bekämpfen, sondern das Virus, was wohl alle Seiten wollen.

In der ganzen Problematik geht es um ein gutes Verständnis von Freiheit und dem Dienst an kranken und erkrankten Menschen, im medizinischen wie im sozialen Bereich. Die Erfahrung aus der ersten Welle, dass Sterbende von ihren Angehörigen nicht mehr begleitet werden konnten, dass selbst Beerdigungen eingeschränkt waren, liegt noch wie ein Trauma auf manchen Angehörigen.

Was den Freiheitsbegriff anbelangt, greife ich zunächst auf die gehörte Lesung zurück. Paulus gilt ja als der Apostel, der die Freiheit sehr hoch einschätzte. „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“, schreibt er im 2. Korintherbrief (2 Kor 3,17).
Unsere Lesung beginnt mit dem Satz: „Im Übrigen soll jeder so leben, wie Gottes Ruf ihn getroffen hat. Das ist meine Weisung für alle Gemeinden.“ Wie Gottes Ruf ihn getroffen hat. Paulus redet hier von keiner äußeren Freiheit, sondern von einem Akt des im Inneren getroffen seins, von einer Berufung, von einem inneren Kern, den es unter allen Umständen zu leben gilt. Deswegen kann er auch sagen: „Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat. Wenn du als Sklave berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken; aber wenn du frei werden kannst, mach lieber Gebrauch davon!“
Paulus weiß, er kann den Sklavenstand nicht abschaffen, aber auch innerhalb des Sklavenstandes kann ein Mensch dem Ruf Gottes treu bleiben. Allerdings ermutigt er jeden, aus Berufen, die versklaven, auszusteigen. Er verweist auf Jesus, der uns ein Leben aus einer Treue zu seiner Berufung vorgelebt hat: „Um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden“ und fügt als Mahnung hinzu: „Macht euch nicht zu Sklaven von Menschen!“ Das tat Paulus selbst nie. Seine Tätigkeit empfand er nicht wie ein freies Entscheiden, sondern als ein Getriebenwerden, aus einer inneren Notwendigkeit heraus. So schreibt er im 1. Korintherbrief: „Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, gebührt mir deswegen kein Ruhm; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor 9,16).
Seine Freiheit ist rückgebunden an den Ruf Gottes. Frei sein ist immer ein Beziehungsgeschehen. Aus dieser Bindung an den Ruf Gottes geht Paulus die Probleme des Lebens an.

Was kann uns dies für unser Freiheitsverständnis geben? Zunächst einmal geht es nicht darum, für was und gegen was ich bin, sondern darum, was ich als meine Aufgabe, meine Berufung bekenne, anerkenne. Darin liegt das Fundament aller Freiheit geborgen. Dann gilt es zu handeln. „Es kommt darauf an, die Gebote Gottes zu halten“, sagt da unsere Lesung.

Es gibt für die Bekämpfung des Covid-19-Virus keine absolut Erfolg versprechende Methode. „Wir irren uns empor“, sagte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx. Aber eine Regierung muss regieren, Entscheide fällen. Wo diese im Parlament besprochen, diskutiert und angenommen werden, da haben sie ihre Berechtigung. Das unterscheidet eine Demokratie von einer Tyrannei. Über 100.000 Coronatote im unserem Land sprechen eine deutliche Sprache. Allerdings müssen demokratisch gefällte Entscheide auch so kommuniziert werden, dass sie für alle zur Einsicht kommen können und so angenommen werden. Dass es immer eine – letztlich kleine – Gruppe von Uneinsichtigen gibt, kann in einer Demokratie verkraftet werden.
Allerdings ist ein Freiheitsbegriff, der nicht für die Folgen seiner Handlung eintritt, abzulehnen. All die Argumente aus Verschwörungstheorien haben nichts mit einer Berufung zu tun, sondern eher mit einem Egoismus, der die Folgen ausblendet. Wer seine individuelle Freiheit voll ausleben will, setzt ein funktionierendes Gesundheitssystem voraus, dass Hilfen im Notfall funktionieren.

Auf der anderen Seite braucht der Staat kritische Bürger, die ihre Freiheiten verteidigen und sie ins Gespräch bringen. Freiheit muss begriffen werden als eine vernünftige Einsicht in die Notwendigkeiten verantwortlichen Handelns und in Solidarität mit den Schwächsten, um einer gemeinsamen Zukunft willen.
Gerade dieser Punkt wurde bei der ersten Coronawelle vernachlässigt. Wenn Sterbende nicht mehr begleitet werden können, wenn Tote nicht mehr im Kreis der Geliebten beerdigt werden können, dann ist der Punkt der Solidarität und der Geschwisterlichkeit gekippt und die göttliche Berufung, die darin besteht, dass es Hungrige zu sättigen, Kranke zu besuchen und Tote zu beerdigen gilt, nicht mehr wahrgenommen.

Freiheit ist nicht nur eine Einsicht in Notwendigkeiten, sondern auch ein schonungsloser Einsatz für Humanität und Mitmenschlichkeit. Dazu befähigt uns ein Glaube, wie er im Evangelium umschrieben wird: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und dieses Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut.“ (FN)

 

Gebet aus dem MartinusBrief Februar 2022

Ökumenisches Friedensgebet 2022

Gütiger Gott, wir sehnen uns danach,
miteinander in Frieden zu leben.

Wenn Egoismus und Ungerechtigkeit
überhandnehmen,
wenn Gewalt zwischen Menschen ausbricht,
wenn Versöhnung nicht möglich erscheint,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.

Wenn Unterschiede in Sprache, Kultur oder Glauben uns vergessen lassen,
dass wir deine Geschöpfe sind und dass du uns die Schöpfung
als gemeinsame Heimat anvertraut hast,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.

Wenn Menschen gegen Menschen ausgespielt werden,
wenn Macht ausgenutzt wird, um andere auszubeuten,
wenn Tatsachen verdreht werden, um andere zu täuschen,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.

Lehre uns, gerecht und fürsorglich miteinander umzugehen
und der Korruption zu widerstehen.

Schenke uns mutige Frauen und Männer, die die Wunden heilen,
die Hass und Gewalt an Leib und Seele hinterlassen.

Lass uns die richtigen Worte, Gesten und Mittel finden,
um den Frieden zu fördern.

In welcher Sprache wir dich auch als „Fürst des Friedens“ bekennen,
lass unsere Stimmen laut vernehmbar sein gegen Gewalt und gegen Unrecht.
Amen.

Die Autorin Sr. Mary Grace Sawe wurde 1974 in Kenia geboren.

Quelle Text und Bilder:
www.oekumenisches-friedensgebet.de (missio/EMW)

Angedacht für Freitag 21. Januar 2022

Ein Leib und viele Glieder

Bei der Vorbereitung unseres kommenden Familiengottesdienstes haben wir uns im Team mit der Lesung aus dem 1. Korintherbrief beschäftigt. Hier ein Auszug:
„Wären alle zusammen nur e i n Glied, wo bliebe dann der Leib? So aber gibt es viele Glieder und doch nur e i n e n Leib. Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich brauche dich nicht. Der Kopf wiederum kann nicht zu den Füßen sagen: Ich brauche euch nicht. Im Gegenteil, gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich.“ (1. Kor 12, 19-22)
An diese Lesung musste ich wieder denken, als mein Mann und ich in der Schule bei der Klassenlehrerin unserer Tochter saßen und uns beraten ließen, welche Schulart wir nach der 4. Klasse wählen sollten. Wir haben versucht, unvoreingenommen in das Gespräch zu gehen. Dass es leider nicht immer so ist, bestätigte sich dann auch.
Schon am nächsten Tag begann ein reger Austausch unter den Kindern, wer denn nun die begehrte Gymnasialempfehlung bekommen hat. Aber stellen wir uns einmal vor, worauf wir zusteuern würden, wenn alle dieselbe elitäre Schule besuchen würden. Wo blieben dann die scheinbar schwächeren Glieder, die unseren Leib doch vollkommen machen können und auch müssen?
Leider verlangt unsere Leistungsgesellschaft immer nur das Beste, Realschulabschluß scheint nicht mehr erstrebenswert zu sein. Gleichzeitig jammern wir über Fachkräftemangel im Handwerk, in der Pflege und im Handel. Für mich ein Widerspruch in sich.
Leider gibt es eher selten Verkäufer oder Köche mit Abitur, nicht, weil der Beruf weniger anspruchsvoll ist, sondern wahrscheinlich eher, weil er nicht so gut bezahlt wird. Vielen würden diese Tätigkeiten sicher Spaß machen, aber wenn wir 13 Jahre zur Schule gegangen sind, dann muss es sich doch auch „gelohnt“ haben? Diese Einstellung erhöht immer mehr den Leistungsdruck auf unsere Kinder.
Sollten wir nicht akzeptieren, dass wir alle verschieden sind?
Wir sind verschieden begabt und verschieden veranlagt. Ist es nicht gerade die gottgewollte Vielfalt, die unser Leben, den Leib, so bunt macht? Wenn alle das gleiche können und das gleiche denken, wie eintönig wäre diese Welt. Vielleicht sollten wir uns auch alle etwas mehr ausprobieren und sowohl mal unter als auch über unser Niveau schauen. Da finden wir sicherlich noch Dinge, die uns ansprechen und die wie für uns gemacht sind. Für die vermeintlich einfacheren Berufe braucht man ganz andere Begabungen, die vielleicht nichts mit Mathematik und Physik zu tun haben, aber mit Herz, Empathie und Mitgefühl.
Ein Leib und viele Glieder, ein Bibelvers, den wir alle mal wieder lesen sollten.

Manuela Paflitschek, Pastorale Mitarbeiterin

Gebet aus dem MartinusBrief 07/2021

Geheimnisvoller Gott,
Dein schöpferischer Geist
schafft Vielfalt und Lebendigkeit
er inspiriert und erfreut.
Guter Gott,
Dein Geist
ist ein Geist des Friedens.
Wir bitten Dich:
Stärke die Zufriedenheit in unseren Herzen
und die Friedfertigkeit in unserem Handeln,
Und lass´ uns staunend wahrnehmen,
was Dein Geist in dieser Welt bewirkt
und wie sehr wir ihn brauchen,
damit wir Deiner wunderbaren Schöpfung
und einander gerecht werden.

Amen.

Christian Hartl
(Quelle: Gebetsbild Renovabis 2020)

Gebet aus dem MartinusBrief 06/2021

Allmächtiger gütiger Gott und Vater!
Durch die Auferstehung deines Sohnes Jesus Christus
hast du dem Tod die Macht genommen
und sagst an allen Enden der Welt
Das Leben an.
Dafür danken wir dir und bitten wir dich:
Mach uns bereit diese Botschaft mit offenen Ohren zu hören,
nimm allen Kleinglauben und allen Zweifel von uns,
lass uns einstimmen in das Osterlob deiner Zeugen:
Christus ist erstanden.
Auf ihn hoffen wir in Zeit und Ewigkeit.

Amen.

Gebet aus dem MartinusBrief 05/2021

(aus dem Fastenhirtenbrief unseres Bischofs)

Guter Gott,
wir gehen durch eine Zeit der Unsicherheit und Angst:
Da ist die Sorge um geliebte Menschen.
Da ist die Furcht, sich anzustecken.
Da ist die Ungewissheit, wie sich unsere Welt in diesen Monaten verändern wird.
Da ist jetzt schon ein grundlegender Einschnitt in unser gewohntes Leben:
Wir müssen auf vieles verzichten, das wir gerne tun, um andere Menschen nicht in Gefahr zu bringen. Das belastet uns, und wir hoffen, dass diese Zeit bald vorübergeht.
Dies alles, unsere Befürchtungen, unsere Hoffnungen, unsere Ängste,
tragen wir vor dich.
Du hast gesagt, dass wir unsere Sorgen auf dich werfen dürfen.
Du hast gesagt, dass du bei uns bist alle Tage bis ans Ende der Welt –
auch in dunklen Zeiten. Wir vertrauen dir.
Wir legen die Menschen, die wir lieben, in deine Hand:
Segne sie und behüte sie.
Und wir bitten dich, schenke uns Kraft und Zuversicht
und beschütze uns in dieser Zeit.

Amen.

(Schweizer Liturgisches Institut, Ursula Schumacher)