Gedanken zu MK 22,15-21
„Nicht so bei euch“
»Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen, ihre Macht gegen sie gebrauchen.« (Mk 22,15-21)
Dieser Satz Jesu, an seine Jünger gerichtet, ist bis heute… leider… aktuell.
Dennoch: “Macht“ kommt von »machen«.
Sie ist im eigentlichen Sinn nicht schlecht, – eigentlich sogar gut. Denn: Wer Macht hat, »macht« Gutes für das Gemeinwohl – zumindest dürfen wir das erwarten.
Dann ist sie eine positive, gestalterische und schützende Kraft. Doch leider wird Macht zu oft als negative, zerstörerische Energie missbraucht. Jetzt kippt sie in Gewalt!
Abraham Lincoln wird das Zitat zugeschrieben: »Wenn Du einen Menschen kennenlernen willst, dann gib ihm Macht.« Die Erfahrung, dass die Mächtigen ihre Macht missbrauchen, beschränkt sich nicht auf die biblische Zeit. Sie ist, bis in unsere Tage hinein, traurige Realität.
Unter diesen Vorzeichen werden Kriege vom Zaun gebrochen. Es wird Gewalt ausgeübt mit Ideologien, Gesetzen und Worten. Menschen erleben Leid und Not oder werden zur Flucht gezwungen und verlieren Hab und Gut. Es scheint wie ein Naturgesetz zu sein: Macht und Herrschaft werden zum Schaden anderer missbraucht.
»Nicht so bei euch!« So sagt es Jesus im Markusevangelium.
Nicht so bei euch! Eine Feststellung?
Oder doch mehr ein weit in die Zukunft gerichteter Wunsch aus dem Munde Jesu?
Die Frage nach einem angemessenen Umgang mit Macht war auch in den christlichen Gemeinden der Anfangszeit ein Thema. Gerangel um gute Plätze auf den vorderen Rängen im Reich Gottes gab es auch unter den Jüngern.
Mehrmals sprechen die Evangelien davon, dass es Streit um Rangordnungen gab, dass hinter den Kulissen manch kleiner Machtkampf um die besten Plätze an der Seite Jesu ausgetragen wurde.
Ganz menschlich ging es da zu. Und es ist eigentlich auch nachvollziehbar. Denn Jesus war mit seiner Botschaft für viele anziehend.
Die Menschen sind ihm, in den Anfängen, in Scharen gefolgt. Die Jüngerinnen und Jünger haben wohl auch das Erfüllende wahrgenommen, das von Jesu und seiner Botschaft ausging.
Sie haben gespürt, dass es sich lohnt, zum näheren Umkreis eines Menschen gezählt zu werden, der sogar Macht über die bösen Geister hat.
»Lass in deinem Reich einen von uns rechts – und den anderen links – neben dir sitzen.« So betreiben die beiden Zebedäussöhne ganz offen Lobbyismus in eigener Sache.
Sie offenbaren damit, dass sie nicht in der großen Zahl der Anhänger Jesu untergehen wollen, dass auch sie gegen die alten Kämpfe der Menschheit – um den ersten Platz, das Rangeln um die Rangordnung, nicht immun sind.
Jakobus und Johannes gehörten mit zu den Ersten, die mit Jesus unterwegs waren. „Das muss doch was wert sein“, denken sie.
Auf dem Weg nach Jerusalem nun packen sie die Gelegenheit beim Schopf und versuchen, das Beste für sich herauszuholen.
Das kennen wir doch alle von uns selbst, oder? Ob es beim Kampf um die besten Plätze im Kino oder im Konzert ist. Oder beim Kampf um das kalte Buffett…oder um die Liegestühle am Hotelpool…
Jesus scheint den Wunsch zu verstehen, dass jemand Erster sein möchte. Er tadelt die beiden …und alle seine Jünger deshalb nicht.
Vielmehr – und das ist entscheidend – ordnet er die Prioritäten neu. Er stellt einen anderen Maßstab auf, in dem er ermutigt: Haltet fest an dem Wunsch, Erste oder Erster zu sein. Aber mit einer anderen Zielsetzung:
- Erster sein, in der machtvollen Liebe zu anderen
- Erster sein, in Großherzigkeit
- Erster sein, im Dienst für andere
Jesus bestimmt damit in einem klaren Gegenentwurf neu, was dem Leben und den Menschen guttut …und dient.
„Nicht so bei euch“! rief er seinen Jüngern zu.
– …Zeigt sich das aktuell in den kirchlichen Gemeinden?
– …Ist etwas davon sichtbar in der Hierarchie der Diözesen?
– …Zwischen den Amtsträgern
– …und im Miteinander des Volkes Gottes?
– … Zeigt sich das bei uns? In unserer Gemeinde?
Titel und Rangordnungen finden sich auch in der Kirche. Und es gibt natürlich – wie in jeder differenzierten Organisation – »Erste«. Dagegen spricht sich Jesus nicht aus.
Diese aber, sollen sich anders verhalten, als es landläufig die »Ersten«, die Leiter, die Mächtigen in der Gesellschaft tun, die mit ihrer Macht nicht lebensfördernd umgehen.
Wer zur Nachfolgegemeinschaft Jesu gehört, der soll seine Macht …auch die »geistliche Vollmacht«, …im Sinne Jesu einsetzen. Dann wird sie eine positive, gestalterische und schützende Kraft. Lebens- und liebesfördernd.
In unserer Gesellschaft sind die wenigsten „ohnmächtig“, also ohne Macht. Und wenn es nur im Kleinen ist, eine gewisse Macht haben wir alle. Im Beruf, in der Familie, gegenüber Kindern, im Straßenverkehr, und… und…und…
Wie vorher festgestellt: „Wer zur Nachfolgegemeinschaft Jesu gehört, der soll seine Macht im Sinne Jesu einsetzen. Dann wird sie eine positive, gestalterische und schützende Kraft. Lebens- und liebesfördernd.“
Fangen wir bei uns selber an, seien wir die ERSTEN:
- Erster, bei Toleranz
- Erster, bei Mitgefühl
- Erster, im Dienst für andere
- Erster, in Großherzigkeit und Teilungsbereitschaft
- Erster, in der Liebe zu anderen
- Erster, in der Liebe zu Gott…..
Amen.
Christian Ernemann