GEDANKEN ZU JES 43,16-21 U. JOH 8,1-11 AM MISEREOR-SONNTAG
Ein düsterer Hintergrund begleitet heute die Lesung. Ein ganzes Volk war in die Gefangenschaft nach Babylon verschleppt worden. „An den Flüssen von Babylon, da saßen wir und weinten.“ Wir kennen diesen Ps 137, vor allem aus dem Disco-Hit „By the river of Babylon“. Sie hatten alles verloren, den Tempel, ihr Land. Da ruft ihnen der Schreiber der Lesung entgegen: „Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, achtet nicht mehr! Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?“ Vergoldet nicht nostalgisch eure Vergangenheit, hofft, schaut und vertraut darauf, was in der Zukunft möglich ist. Man möchte so, dasselbe der heutigen Welt zurufen.
Im heutigen Evangelium wird eine Person bloßgestellt. Eine Frau, des Ehebruches ertappt, vom Mann ist typischerweise nicht die Rede, wird schonungslos zur Steinigung in die Mitte gestellt.
In islamischen Ländern oder bei uns im Internet kennt man noch „solch grausames in die Mitte gestellt werden“ zur Aburteilung. Doch den Pharisäern geht es hier nicht nur um die Frau. Sie wird hier zum Objekt, zum Mittel, zum Zweck, um Jesus gleich mit zu erledigen: „Mit diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen.“ Und tatsächlich heißt es am Ende des Kapitels: „Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Jesus aber verbarg sich und verließ den Tempel“ (Joh 8,59).
Was tut nun Jesus hier? Er bückt sich und schreibt in den Sand. Er deeskaliert, würde man heute sagen, lässt das Mütchen der Pharisäer abkühlen und erst als sie hartnäckig auf einer Antwort bestehen, reagiert er.
Jesus konnte also, wie es diese Stelle vermuten lässt, schreiben. Wieso schrieb er dann nichts nieder, könnte man weiter fragen. Aber waren es in unserem Evangelium nicht ausgerechnet die Schriftgelehrten, die Pharisäer, die durch ihre niedergeschriebenen Gesetze, menschliches Leben vernichten wollten, die blind waren für das Leben? Hat überhaupt jemand die Todesstrafe verdient, auch wenn es gesetzlich niedergeschrieben ist? Woher nehmen Gesetze überhaupt ihre Legitimation? Müssen sie nicht immer neu hinterfragt werden, ob sie noch dem Leben dienen oder dieses beschädigen, vernichten? Wie viele Gesetze wurden schon in den Sand geschrieben? Wir dürfen da nur an die vielen Corona-Verordnungen denken.
Jesus jedenfalls scheint so gedacht zu haben. Der Evangelist Johannes lässt dann auch Pilatus zur Kreuzigung Jesu entlarvend sagen: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben“ (Joh 19,22). „Das Gesetz über den Menschen zu stellen, ist das Wesen der Gotteslästerung“, meinte Simone Weil und der heilige Ambrosius fügte hinzu: „Wo das Erbarmende ist, da ist Gott; wo Härte und Strenge herrschen, mögen vielleicht die Diener Gottes sein, nicht aber Gott.“ Wohl wahr.
Nun, Jesus reagierte hier und drehte den Spieß um: „Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“ Man kann sich die Szene vorstellen, wie einer nach dem anderen bedröppelt wegging: „Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten.“ Dann erst richtet sich Jesus an die Frau, fragt aber nicht nach der Tat, sondern verweist auf das Schuldeingeständnis derer, die sie gerade noch töten wollten: „Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt?“ Da erst weiß sich die Frau ermutigt, zu reden. Jesus ermutigte sie wieder zum Leben, aber meinte, dass sie aufpassen und nicht so weiterleben solle.
Heute ist der Misereor-Sonntag mit dem Motto: „Es geht! Gerecht.“ Im Zentrum dieses Mottos steht der Einsatz für die Rettung des Klimas. Wenn man die Prognosen der Wissenschaftler hört, könnte, müsste die jüngste Generation noch den Kollaps des Klimas erleben, derart, dass die Südhälfte der Erde zur Wüste und die Nordhälfte der Erde von Stürmen und Überschwemmungen heimgesucht wird. Die Flutkatastrophe im Ahrtal war sozusagen nur ein Vorbote. Die Erderwärmung wird den Meeresspiegel steigen lassen und manche Landstriche an den Ufern werden vom Erdboden verschwinden. Angesichts dieser Aussichten kann man den nahezu verzweifelten Wutausbruch von Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel in New York verstehen: „Wie konntet Ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit Euren leeren Worten? Wir stehen am Anfang eines Massenaussterbens und alles, worüber Ihr reden könnt, ist Geld und die Märchen von einem für immer anhaltenden wirtschaftlichen Wachstum – wie könnt Ihr es wagen?“
Wenn wir hier auf die Bildebene des Evangeliums gehen, stehen wir als Angeklagte im Zentrum. Die Erde wird uns anklagen, die kommenden Generationen werden uns anklagen.
Hat uns Gott schon aufgeben oder wird er erscheinen und etwas in den Sand schreiben und am Schluss sagen: Ich verurteile euch nicht, aber kehrt um und sündigt nicht mehr?
Es war vor allem Papst Franziskus, der die Anklage der Erde und der kommenden Generationen sehr ernst genommen hat. Er schreibt in der Umwelt-Enzyklika Laudato si`: „Damit neue Leitbilder für den Fortschritt aufkommen, müssen wir „das Modell globaler Entwicklung in eine [andere] Richtung … lenken“, was einschließt, „über den Sinn der Wirtschaft und über ihre Ziele nachzudenken, um Missstände und Verzerrungen zu korrigieren“. … Oft nimmt die wirkliche Lebensqualität der Menschen im Zusammenhang mit einem Wirtschaftswachstum ab, und zwar wegen der Zerstörung der Umwelt, wegen der niedrigen Qualität der eigenen Nahrungsmittel oder durch die Erschöpfung einiger Ressourcen“ (LS 194).
Und in seiner letzten Enzyklika Fratelli tutti, schreibt er: „Ein Einzelner kann einer bedürftigen Person helfen, aber wenn er sich mit anderen verbindet, um gesellschaftliche Prozesse zur Geschwisterlichkeit und Gerechtigkeit für alle ins Leben zu rufen, tritt er in »das Feld der umfassenderen Nächstenliebe, der politischen Nächstenliebe ein«.
Es geht darum, zu einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung zu gelangen, deren Seele die gesellschaftliche Nächstenliebe ist (FT 180).
Was also würde uns Gott heute in den Sand schreiben?
Im Misereor-Kalender dieses Jahres, jeweils an den Montagen, gibt es viele Tipps, wie nachhaltig das Leben gelebt werden kann.
• Am 7. März wird Papier, auch Toilettenpapier, mit dem Umweltsiegel
„Blauer Engel“ empfohlen.
• Am 11. März wird die Initiative einer Bäckerei erzählt, der ein Brötchen mehr gibt, wenn der Kunde mit dem Fahrrad kommt.
• Am 17. März wird darauf hingewiesen, dass jeder Mensch in Deutschland pro Tag 125 Liter Wasser verbraucht: 36% zum Baden und Duschen; 27% für die Toilettenspülung; 12% zum Händewaschen; der Rest für Geschirr-
spülen, Gartenbewässerung, Autopflege…; nur 5% werden für Essen und Trinken verwendet.
• Am 11. April: Im Jahr 2019 wurden 17% oder 931 Millionen Tonnen der weltweit produzierten Lebensmittel nicht gegessen, sondern entsorgt. In deutschen Haushalten wurden 6 Millionen Tonnen Lebensmittel wegge-
worfen.
Leider hat man zu oft den Eindruck, dass solche Zahlen tatsächlich in den Sand geschrieben sind und schnell vom Winde verweht werden. Gott hat uns nicht abgeschrieben. Er möchte mit uns das Leben lebenswert erhalten. (FN)