„Kirche träumen“

„Kirche träumen“

so lautete der Titel der diesjährigen Bibelwoche zur Apostelgeschichte. Dazu: Apg 27,13-38.44c

Die Apostelgeschichte steht in der Bibel am Scharnier zwischen den Evangelien und den Paulusbriefen. Sie zeichnet den Weg der beginnenden Kirche nach, ein spannender Weg.
• Am Beginn dieser Erzählung verabschiedet sich Jesus durch die Himmelfahrt und die Apostel schauen entgeistert in den Himmel und wissen nicht so recht, was sie jetzt tun sollen? Bis an die Grenzen der Erde sollen sie die Botschaft Jesu tragen, so der Auftrag. Aber wie? Zuversicht, Unverständnis, Zweifel erfasste die Apostel.
• Dann ziehen sie sich in das Obergemach zurück, wo sie mit Jesus das letzte Abendmahl gefeiert hatten, beladen mit dieser Bürde, zurückgelassen worden zu sein.
• Dann ein erster Schritt: Sie wählen einen Nachfolger für Judas. Die Wahl, – das Los fiel auf Matthias. Sie rappeln sich auf, um in die Zukunft zu schauen. Das Grab des Matthias ist übrigens in Trier.
• Die überraschende Wende ereignete sich an Pfingsten, dem jüdischen Erntedankfest, dem Fest der Tora. Der Geist Jesu ergreift sie und katapultiert sie in die Öffentlichkeit. Petrus ergreift das Wort und spricht voll Selbstbewusstsein von Jesus, vom Verbrechen an Jesus und dass ihn Gott von den Toten erweckte. Es muss für die Zuhörer unglaublich gewesen sein, zu hören, dass der grausame Verbrechertod Jesu die Initiation für einen neuen Weg werden sollte.
• Gleich dreitausend Menschen ließen sich nach dieser Rede des Petrus taufen. Sie waren mitten ins Herz getroffen.
• Es bilden sich eine, mehrere Gemeinschaften, die an der Lehre der Apostel festhielten, die das Brot Jesu miteinander teilten, die alles teilten, so dass keiner Not litt. Sie versammelten sich einmütig im Tempel und waren beim ganzen Volk beliebt. Sie hatten viel bekommen, jetzt trugen sie viel dazu bei, dass diese Fülle weitergegeben wurde.
• Gold und Silber hatten die Apostel nicht, aber Mitmenschlichkeit, Zuwendung zu den Gebrechlichen und die Erfahrung, dass gelebtes Reich Gottes möglich ist. Wie wir in einem Lied heute singen, das war ihre Anfangserfahrung: Bettler und Lahme sahen wir beim Tanz, hörten wie Stumme sprachen.
• Natürlich fehlten Verhaftungen nicht. Ihre Verteidigung war immer dieselbe: Jesus ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde. Er wurde zum Eckstein.
Ihnen wurde verboten, weiter von Jesus zu sprechen. Die Antwort: „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.“ Keine Frage: der Geist Jesu wirkte mächtig in ihnen. Es geschahen Zeichen und Wunder.
• Als sie wieder angegriffen wurden, die Verteidigungsrede Petri: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (5,29) Weder Lob noch Furcht konnte die Apostel aufhalten.
• Es wurden sieben Diakone gewählt, unter ihnen Stephanus, der erste Märtyrer des neuen Weges, wie die Christen zunächst genannt wurden. Die nun einsetzende Verfolgung wurde dann zum Samen der neuen Bewegung. Das Wort Jesu gelangte nach Judäa und Samarien. Petrus taufte als Erster sogenannte Heiden. In Antiochien wurden die Anhänger des neuen Weges zum ersten Mal Christen genannt. Die Grenze der jüdischen Religion wurde überschritten.
• Dann das Damaskuserlebnis des Paulus: Vom rasenden Verfolger zum glühenden Bekenner Jesu.
• Es herrschte bald dicke Luft in der wachsenden Bewegung. Darf die Botschaft Jesu auch Unbeschnittenen verkündet werden? Müssen nicht zuerst alle Juden durch Beschneidung werden? Man raufte sich auf dem sogenannten Apostelkonzil zusammen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus genügt, nur sollte man gewisse Bräuche beachten und nicht alle vor den Kopf stoßen.
• Unterdessen zieht es Paulus mit seiner neu gewonnenen Erfahrung, dass Jesus der Messias ist, in die Welt hinaus. Drei Missionsreisen sind bekannt. Er gründete viele Gemeinden, hält Kommunikation mit ihnen, schreibt Briefe, erleidet Gefahren, aber blieb unermüdlich auf dem Weg.
Ein Mazedonier lockt ihn nach Europa, die Purpurhändlerin Lydia empfängt ihn. Sein Credo: „Der Mensch findet nicht Rettung durch die Einhaltung von Gesetzen, sondern durch sein Vertrauen in Gott, durch seinen Glauben.“
Sein Weg wie die Apostelgeschichte endet in Rom, bzw. mit einem offenen Ende: „Er blieb zwei volle Jahre in seiner Mietwohnung und empfing alle, die zu ihm kamen. Er verkündete das Reich Gottes und lehrte über Jesus Christus, den Herrn – mit allem Freimut, ungehindert.“ (28,30f.)

Die Apostelgeschichte ist und bleibt die spannende Ursprungsgeschichte unserer Kirche mit dem offenen Ende, dass wir die Geschichte Jesu weiterführen sollen.
Die Lesung, die wir gehört haben, stammt aus dem vorletzten Kapitel der Apostelgeschichte. Paulus ist als Gefangener auf dem Weg nach Rom. Die Bilder, mit denen dieser Bericht arbeitet, kann fast eins zu eins auf unsere heutige Situation übertragen werden. Paulus befindet sich auf einem Schiff. Ein gewaltiger Orkan droht das Schiff zu kentern, das Ende ist in Sicht. Da das Schiff von der herrschenden Strömung mitgerissen wurde, gab die Mannschaft auf und ließ sich treiben. Immerhin wurde etwas der kostbaren Ladung über Bord geworfen, aber es zeigte sich weder Sonne noch Sterne, sodass jede Hoffnung schwand.

Sieht nicht mancher heute auch das Schiff der Kirche, der Kirchen so? Zahlen, Daten, Fakten, tendenziöse Presseartikel, wenn man die Sicht auf Deutschland beschränkt, sprechen eine solche Sprache.
In unserem Bericht steht Paulus auf und spricht der Besatzung Mut zu. Er gründet die Kraft seiner Worte in einer Anrede durch Gott, dass sie gerettet sind und werden. Natürlich versuchen sich einige auf eigene Faust gegen die Anderen zu retten. Paulus widersteht dem, alle oder niemand. Sie kräftigen sich durch ein Mahl, aber werfen das übrige Getreide ins Meer. Jetzt gibt es nur noch ein „nach vorne“; – und alle kamen an Land und wurden gerettet.
Welch ein Bild: Ein Einzelner hatte den Mut hinzustehen und benannte auch die Wurzel seines Verhaltens. Muss man dies nicht all den Wankelmütigen in den eigenen Reihen zurufen? Dann handelte Paulus solidarisch, empathisch und stellt sich in den Dienst der Mannschaft. Muss nicht auch dies all den Individualisten oder auch Egoisten unter uns gesagt werden?
Das Handeln von Paulus wurzelt in seiner lebendigen Gottesbeziehung. Wohl erst aus ähnlichen Erfahrungen werden auch wir heute fähig, Ballast abzuwerfen, um aus authentischen Gotteserfahrungen heraus, die Geschichte der Botschaft Jesu, als seine Kirche, weiterzuführen.

Franz Nagler, Pfarrer