Gedanken zu Lk 21,5-19

Gedanken zu Lk 21,5-19

 

„Ihr werdet das Leben gewinnen“, so endete unser Evangelium: „Ihr werdet das Leben gewinnen.“ Ein gewagter Satz nach der Beschreibung all der Kriege, Nöte, Untergangsszenarien, die zuvor im Evangelium selbst geschildert werden.

 

Solche Sätze müssen vor dem Hintergrund derzeitiger Kriege auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht werden, – vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, zerstörter Städte, mit denen zuvor noch wirtschaftlich gut zusammengearbeitet wurde, von Massengräbern, in denen Menschen liegen, die zuvor noch Einkaufsbummel machten, Gefangenenlager, wo gefoltert wird, tausender Toter, die zuvor noch friedlich ihre Einkäufe machten und in ihren Familien lebten. „Ihr werdet das Leben gewinnen“, ein gewagter Satz.

 

Vor kurzem erhielt der Ukrainer Serhij Zhadan den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. In seiner Dankesrede sagte er bedeutsame Worte zu unserer Thematik. Er fragte: „Warum werden die Ukrainer so oft hellhörig, wenn europäische Intellektuelle und Politiker den Frieden zu einer Notwendigkeit erklären? Nicht etwa, weil sie die Notwendigkeit des Friedens verneinen, sondern aus dem Wissen heraus, dass Frieden nicht eintritt, wenn das Opfer der Aggressionen die Waffen niederlegt. Die Zivilbevölkerung in Butscha und anderen Orten hatte überhaupt keine Waffen, was die Menschen nicht vor einem furchtbaren Tod bewahrt hat.

Wenn wir jetzt, im Angesicht dieses blutigen, dramatischen Krieges, über Frieden sprechen, wollen einige eine simple Tatsache nicht zur Kenntnis nehmen: Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Und wenn manche Europäer den Ukrainern ihre Weigerung, sich zu ergeben, fast schon als Ausdruck von Militarismus anlasten, tun sie etwas Merkwürdiges. Beim Versuch, in ihrer Komfortzone zu bleiben, überschreiten sie umstandslos die Grenzen der Ethik. Appelle an Menschen zu richten, die ihr Leben verteidigen, ist für den einen oder anderen eine ziemlich bequeme Form, die Verantwortung abzuschieben. Vielleicht müssten die Europäer weniger Geld für Energie ausgeben, wenn die Ukrainer kapitulierten, aber wie würden sich die Menschen in Europa fühlen, wenn sie sich bewusst machen, dass sie ihr warmes Zuhause mit vernichteten Existenzen und zerstörten Häusern erkauft haben, die auch in einem friedlichen und ruhigen Land leben wollten.“

Man muss dieser Meinung nicht in allem zustimmen, aber eines wird deutlich, dass es auf unsere Erde immer Auseinandersetzungen um Besitz, Karrieren, Macht oder niedrigste Instinkte geben wird.

Der Vorsatz zu unserem zitierten Satz „Ihr werdet das Leben gewinnen“, lautet: „wenn ihr standhaft bleibt.“ Wen die Auseinandersetzungen in der Welt gleichgültig lassen, wer nur sein Schäfchen ins Trockene bringen möchte, wird das Leben nicht gewinnen. Wie wir auf die Auseinandersetzungen reagieren, ist eine andere Frage. Darauf können die Antworten auch sehr verschieden sein, aber Antworten müssen gegeben werden oder in Auseinandersetzungen erst gewonnen werden.

Den Anhängern Jesu werden hier erschreckende Bilder auf den Weg gegeben, Bilder, die dann in der Christenverfolgung Wirklichkeit wurden. „Man wird euch den Synagogen und den Gefängnissen ausliefern, vor Könige und Statthalter bringen um meines Namens willen. …  Sogar eure Eltern und Geschwister, eure Verwandten und Freunde werden euch ausliefern und manche von euch wird man töten.“

Angesicht eines solchen Szenarios ist man schnell dabei, – und wird dabei auch das Verständnis seiner Umgebung gewinnen können, die Waffen zu strecken, um des lieben Friedens willen, sei es des eigenen Friedens, sei es des Friedens generell.

Aber nur wer standhaft bleibt, wird das Leben gewinnen. Dieses Standhaftbleiben, meint keineswegs selber zu Waffen greifen zu müssen. Es bedeutet vielmehr, seine gewonnene Überzeugung zu leben. So wird man das Leben gewinnen. In der Nachfolge Jesu heißt dies immer auch bereit sein, sein Leben aufs Spiel zu setzen, anstatt andere zu vernichten. Dies ist dann die spezifisch jesuanische Ethik, die allerdings weit entfernt von einer Ratschlagskultur aus dem friedlichen Nest heraus ist, die im Gegenteil aktiven Einsatz an kritischen Orten verlangt, denn genau das tat Jesus. Er ging nach Jerusalem in die Höhle des Löwen, um auch dort zu seinem Leben zu stehen.

 

Als Jesus die Worte dieses Evangeliums sprach, stand er inmitten des herrlichen Tempels von Jerusalem. Unter diesem Dach sprach er die gehörten Worte: „Es werden Tage kommen, an denen von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem andern bleibt, der nicht niedergerissen wird.“ Eine gewagte Rede, denn der Tempel galt als Garant der jüdischen Bevölkerung und ihres Glaubens.

Die Standhaftigkeit an sich ist Gewinn von Leben, Passivität hat schon immer das Leben verloren.

Vor gar nicht so langer Zeit hatte der US-amerikanische Politwissenschaftler Francis Fukuyama, nach dem Fall des Eisernen Vorhanges, ein Buch mit dem Titel: „Das Ende der Geschichte“ veröffentlicht. Darin meinte er: Das nunmehr siegreiche Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sei offenkundig das Beste. Etwas prinzipiell Neues sei nicht mehr zu erwarten, auch gar nicht zu wünschen.

 

Da ist das heutige Evangelium mit seinem Schreckensszenario doch etwas näher an der Realität dran.

Die Aussage und Ermunterung Jesu: „Ihr werdet leben“ hatte natürlich sein unhinterfragtes Vertrauen in Gott, als dem Herrn der Welt. Wenn die Herren dieser Welt gehen müssen, wenn Kriege Leben und Städte zerstört haben, steht nicht der Untergang bevor, sondern die Begegnung mit dem Herrn der Welt selbst. Am oder im Ende steht nicht Zusammenbruch, sondern Begegnung.

So endete auch die gehörte Lesung: „Für euch aber, die ihr meinen Namen ehrt, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und ihre Flügel bringen Heilung.“

 

Im Letzten kommt es auf unser Leben an. Es ist entscheidend, ob wir es gegen das Leben lebten, indem wir es hinter Karriere, Leistung, Reichtum, Egoismen versteckten oder inwiefern wir zu unserer Berufung fanden und diese mit aller Lebendigkeit lebten, nicht nur auf uns selbst bezogen, sondern im Fadenkreuz der ganzen Welt. „Für euch, die ihr meinen Namen ehrt, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und ihre Flügel bringen Heilung.“

 

Franz Nagler, Pfarrer