GEDANKEN ZU LK 11-19

Hans Magnus Enzensberger schrieb ein Gedicht mit dem Titel: „Empfänger unbekannt“. Darin zählt er auf, was ihn dankbar sein lässt:

„Vielen Dank für die Wolken.
Vielen Dank für das wohltemperierte Klavier
und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.
Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn
und für allerhand andere verborgene Organe,
für die Luft, und natürlich für den Bordeaux. …
Vielen Dank für die vier Jahreszeiten,
für die Zahl e und für das Koffein,
und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller,
gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf,
für den Schlaf ganz besonders,
und, damit ich es nicht vergesse,
für den Anfang und das Ende
und die paar Minuten dazwischen
inständigen Dank,
meinetwegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch.“

Für all das dankt er, aber der Empfänger des Dankes ist ihm abhandengekommen. Und tatsächlich, danken kann nicht jeder. Kindern wird oft gesagt: „danke“ für ein Geschenk zu sagen, – das geht noch, aber, wenn´s ums Ganze geht, um unser Leben, um Vertrauen, um Liebe, Vergebung – wem da danken? Wenn man aber für das Leben nicht mehr danken kann, dann verflacht es. Wie soll man sagen: Ist halt so? Oder Glück gehabt? Auf dieser Ebene läuft vieles ab.
Wie ist es jedoch, wenn wir gegenüber dem ganz „Anderen“ Gott, danke sagen können. Gewinnt da das Leben nicht eine ganz andere Tiefe und Schönheit?

Damit sind wir mittendrin im soeben gehörten Evangelium. Jesus befindet sich in einem Grenzgebiet, zwischen Samarien und Galiläa. Es geht in dieser Begebenheit um eine Grenzerfahrung, wie etwas so ganz anders verlaufen kann. In diesem Grenzgebiet kommen ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie scheinen ihn gekannt zu haben, denn schon aus der Ferne schreien sie: „Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!“ Interessant ist noch, dass die Heilung dann nicht an Ort und Stelle geschieht. Sie müssen sich auf den Weg machen. Sich auf den Weg machen bedeutet immer auch Zeit zum Nachdenken zu haben. Denken Sie nur an die vielen Wallfahrten, die ja oft unternommen werden, um aus der Hektik herauszukommen und gehend zur Besinnung zu kommen. Auf diesem Weg gesunden alle zehn.

Neun von ihnen sind einfach mit heiler Haut davongekommen, aber einem ging die Heilung unter die Haut, ausgerechnet einem Außenseiter, einem Samaritaner. Die anderen neun hatten bekommen, was sie suchten. So schnell wie möglich wollten sie sich wieder in ihr altes Umfeld einfügen.
Eigentlich hätte an dieser Stelle die Erzählung enden können. Wenn Lukas hier weitererzählt, dann hat dies seinen Grund. Die neun Geheilten kehrten wieder in ihr altes Leben zurück. Sie hatten bekommen, was sie wollten. Ihr Leben wird sich nicht groß verändert haben. Sie waren froh wieder dazuzugehören.

Zur Zeit des Lukas hatten sich schon einige christliche Gemeinden gegründet und es folgte die Zeit der Konsolidation. Die Anfangsbegeisterung war abgeflacht. Man versuchte sich einzurichten.

Wenn da nicht dieser eine, dieser Samariter, gewesen wäre, der einen ganz anderen Weg ging, der sich so ganz neu von diesem Jesus ansprechen ließ, der nicht einfach wieder dazugehören wollte, der das Wunder begriff, das an ihm geschah. „Er lobte Gott mit lauter Stimme. Er warf sich vor den Füßen Jesu auf das Angesicht und dankte ihm.“
Da haben wir wieder dieses Wort: „danke“. Er dankt Gott für das Wunder, das er erfahren hatte. Er hatte eine Adresse, an wen er sich wenden konnte. Kein Empfänger unbekannt, sondern ein Empfänger, der sich ihm als rettender Gott vertraut gemacht hatte.
So ist es nur folgerichtig, wenn Jesus von den neun Geheilten sagt, dass sie rein geworden seien, während er von dem Samariter sagt, dass er gerettet worden sei: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet.“

An diesem Punkt dürfen wir uns fragen: Ist uns die Anerkennung für die täglichen Wunder verloren gegangen? Das Leben an sich ist uns schließlich geschenkt. Niemand hat sich selbst gemacht und da reicht auch kein Dank an die Eltern, da gilt es dem ganz „Anderen“ zu danken, nicht nur für das Leben, sondern, dass die Nähe zu ihm, immer wieder und neu Heilung bedeutet.
Oder haben wir uns einfach eingewöhnt, ohne das Rettende in unserem Glauben noch wahrnehmen zu können? Oder weitergefragt: Sind wir zufrieden, wenn wir bekommen haben, was wir wollten – die Kommunion, die Firmung, die Lebensmittel vom Tafelladen, den Geburtstagsbesuch usw., aber mehr wollen wir auch nicht?

Lukas hatte auf seine Gemeinden eine scharfe Beobachtungsgabe und so verlängerte er diese Erzählung, um den Samariter als ein Beispiel hinzustellen. Das hatte er schon einmal getan, als er Jesus die Geschichte vom barmherzigen Samariter erzählen lässt.

„Preise den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat! Der dir all deine Schuld vergibt und all deine Gebrechen heilt, der dein Leben vor dem Untergang rettet und dich mit Huld und Erbarmen krönt, der dich dein Leben lang mit Gaben sättigt, wie dem Adler wird dir die Jugend erneuert“, betet der Psalm 103.

Als der Samariter Gott lobt und Gott dankt, da steht im Text das griechische Wort, das wir alle kennen: „eucharistoon“. Das Wort weist auf das, was wir gerade feiern, auf die Eucharistie, hin. Jeden Sonntag oder Samstag kommen wir zusammen, um Gott zu danken, dem ganz „Anderen“ zu danken, Empfänger nicht unbekannt, bekannt, in dem Maße wie er sich bekannt macht, indem er uns seine heilende Gegenwart schenkt.

„Lasst uns danken, dem Herrn unserem Gott“, beten wir als Eingangsdialog zur
Präfation. Ja, wir haben Grund zu danken. Vielleicht gelingt es Ihnen jeden Tag am Abend zurückzublicken, nicht nur die dunklen Punkte zu sehen, sondern die Lichtblicke wahrzunehmen und Gott dafür zu danken.

Vielleicht ist heute vieles zu komplex geworden, Menschen sehen sich in Zwänge eingespannt und sehen keinen Grund mehr zu danken, wem auch? – dem Chef, der mir den Lohn zahlt, aber den habe ich mir verdient und außerdem ist es zu wenig. Wenn in solchem Rahmen das Leben abläuft, dann wundern die vielen Erkrankungen in unserer Gesellschaft nicht.

Das gehörte Evangelium verweist uns auf einen anderen Weg. Deshalb sind wir auch hier, um nicht wie die Neun einfach in den Alltag zurückzukehren, sondern einfach und schlicht Gott zu danken. Empfänger bekannt.
(FN)