GEDANKEN ZU LK 10,38-42 (GEN 18,1-10A)

Letzten Sonntag hörten wir noch die Stelle vom barmherzigen Samariter mit der Aufforderung: „Geh und handle genauso!“, heute, direkt in Folge dieser Erzählung, die Geschichte der beiden Frauen Maria und Marta mit dem Wort Jesu: „Maria hat den guten Teil gewählt“ und das auf eine Person bezogen, die nichts tat, sondern einfach zu Füßen Jesu seinen Worten lauschte.

Hören und Handeln scheinen bei Jesus zwei gleichgewichtige Rollen zu spielen. Die beiden Erzählungen wurden ja eingeleitet durch die Frage eines Schriftgelehrten nach dem Weg zum ewigen Leben, nach dem wichtigsten Gebot, mit der Aufforderung zur Gottes- und Nächstenliebe.
Die beiden Szenen spielen sich an zwei sehr verschiedenen Orten ab, das eine Mal auf dem Weg beim Unterwegs sein, das zweite Mal in einem Haus, dem Haus der Maria und Marta.

Es hat die Jesusbewegung von Anfang an ausgezeichnet, dass sie sich auf zwei Pfeiler stützte. Auf der einen Seite die Gruppe der bettelarmen Wandergruppe, die mit Jesus unterwegs war, die ihren Besitz und ihre familiären Bindungen aufgegeben hatte. Auf der anderen Seite die Gruppe derer, die sesshaft und eher wohlhabend waren, die die Jesusbewegung unterstützten, ihnen Unterkunft und Verpflegung bereitstellten.
Zu ihnen gehörte sicher das Haus der Marta und Maria, denen hier eine einprägsame Szene gewidmet wird. Marta tritt hier als Hausherrin auf, Maria als Gesprächspartnerin. Beide übernehmen die Aufgaben eines männlichen Hausvorstandes, zwei selbstständige Frauen, die ihr Haus in eigener Regie verwalten. Dies spiegelt wahrscheinlich die tatsächlichen Verhältnisse von damals wider. Ohne den Einsatz und die Unterstützung selbstbewusster Frauen wäre die frühchristliche Mission nicht weit gekommen. Wahrscheinlich wurde das Haus der Marta und Maria nach dem Tod Jesu auch zu einer christlichen Hausgemeinschaft, wo sich die Gemeinde zum Mahl versammelte.

Das Verhalten beider Frauen zeugt von großem Selbstbewusstsein. Der Name Marta bedeutet: „Hausherrin“ und was sie tut, wird mit dem griechischen Wort „Diakonia“ wiedergegeben.
Maria sitzt zu Füßen Jesu, was der Studierhaltung der damaligen Schüler entsprach und nur männlichen Schülern vorbehalten war. Im Verhalten dieser beiden Frauen kommt das selbstbewusste Neue der Jesusbewegung zum Ausdruck.
Dennoch wird das Verhalten dieser beiden Frauen hier unterschiedlich gewichtet, wobei Marta ins Hintertreffen gerät, nicht so sehr, weil Hören wichtiger wäre als Tun, sondern weil sie in dem Sinne übergriffig wird, als sie ihre Schwester Maria vor den Leuten bloßstellt. Sie hätte sie auch persönlich ansprechen können, ihr doch zu helfen, aber sie macht es vorwurfsvoll in aller Öffentlichkeit. Da sieht sich Jesus herausgefordert zu sagen: „Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.“
„Sie hat den guten Teil gewählt!“ Was wäre für uns heute der gute Teil? Es steht sicher außer Frage, dass zu unserem Leben sowohl das Lernen als auch das Hinhören und Handeln gehört, aber beide Haltungen bedürfen einer Reflexion.

Viele unsere Kinder können heute nicht mehr hinhören. Sie sind zu abgelenkt, sodass die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit sehr gelitten hat. Auf der anderen Seite gibt es den blinden Aktivismus, der handelt, ohne Hintergrund und Zielvorrichtung zu beachten.
Was aber ist für uns heute der gute Teil? Ein Aphorismus von Eugen Roth lautet:
„Ein Mensch nimmt guten Glaubens an. Er hab´ das Äußerste getan.
Doch leider Gott´s vergisst er nun, auch noch das Innerste zu tun.“

Wir sind in unserer konkreten kirchlichen Situation mit dem Wandel der Pastoralstrukturen in der Gefährdung das Innerste zu vergessen. Wir tun vieles, planen, haben ganze Stabsstellen in den Bischofsämtern geschaffen, zentralisieren die Verwaltungen, stellen Schutz- und Pastoralpläne auf und müssen uns nun fragen: Bleibt da noch Zeit und Kraft für das Innerste? Wenn nicht, so geht alles letztlich mit Volldampf im Leerlauf.

Für uns heute wäre tatsächlich der gute Teil, der Teil der Maria. Alle Aktivität, soll sie heilende Kraft ausstrahlen, will in der Quelle verortet sein. Es geht um ein Handeln, das es nicht nötig hat, nach außen die anderen, die Marias bloßzustellen. Es geht um ein Handeln, das aus der Tiefe der Überzeugungen und des Glaubens seine Motivation und seine Kraft und Energie bekommt. Solches Handeln überzeugt und schafft auch nebenbei Gemeinschaft.

Es war Rainer Maria Rilke, der in seinem Stundenbuch festhielt:
„Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte im Wachen:
Dann könnte ich in einem tausendfachen
Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.

Das ist tiefste Mystik, tiefste Innerlichkeit! Es ist ein Weg so nahe an Gott zu gelangen, dass er an alles Leben verschenkt werden kann.
Darum geht es in dieser Familiengeschichte von Maria und Marta. Während Maria versucht bis an die Grenze des Göttlichen zu gelangen, um dies dann an das Leben verschenken zu können, widmet sich Marta der Aktion, beraubt aber dieser guten Haltung ihren Glanz durch ihre öffentliche Bloßstellung der Maria. Eine Aktivität, die aus der Fülle der Seele heraus handelt, braucht diese Entgleisung nicht.

Wo wir uns wie Rilke bis ans Äußerste in unserem Innersten wagen, da ist Gott dann immer für überraschende Heimsuchungen gut. Das hat Maria, die Mutter Jesu, bei der Verkündigung erfahren, das hat Zachäus, das Evangelium, das unsere Erstkommunionfeiern begleitete, erfahren, als er von Jesus vom Baum herabgerufen wurde. Das haben die Emmausjünger erfahren, als sich plötzlich Jesus dazugesellte und mit ihnen das Brot brach, das haben auch Abraham und Sarah in der Lesung erfahren, als sie in der Mittagssiesta unter Eichen schlummerten und drei Männer vorbeikamen, die dann von ihnen bewirtet wurden. Sie erhielten die Nachricht, dass Sarah noch ein Kind bekommen würde.

Wo Menschen in der Kontemplation bis an die Grenze gehen, da wird Gott als eine Zukunft verheißende Erfahrung wahrgenommen.
Es täte unserer Kirche und uns allen gut, in der Kontemplation bis an diese Grenze zu gehen, um dann den Reichtum der Gotteserfahrung im Handeln an die Menschen verschenken zu können.

Franz Nagler, Pfarrer