GEDANKEN ZU 1 KOR 7,17-23 UND JOH 1,9-14

Das vergangene Jahr 2021 hat uns in die Gefangenschaft von Covid-19 gebracht. Das Gefühl von Unsicherheit, gesundheitlicher Bedrohung, der Wahrnehmung unserer individuellen, biologischen und sozialen Verletzlichkeit und Verwundbarkeit, hat uns ergriffen. Wie damit umgehen?
Nicht nur seit der bevorstehenden Impfpflicht, sondern zuvor schon gab es Zusammenstöße zwischen dem mehrheitlichen Schutzbedürfnis und Sicherheitsanspruch an den Staat und einem wütenden Freiheitsbedürfnis und Freiheitsanspruch gegen den Staat. Wobei der Freiheitsbegriff stark auf einer Ablehnung von Regeln und Beschränkungen beruht und eine eigene Verantwortung für die Bekämpfung der Pandemie ablehnt. Im Gegenteil vertrauten auch die Impfgegner darauf, dass sie im Krankheitsfall in den Krankenhäusern behandelt werden würden.

Wie mit dieser Situation umgehen, steht doch auch der Friede in der Gesellschaft als Herausforderung auf dem Spiel. Wenig hilfreich ist es, die eine oder andere Partei zu kriminalisieren, derart, dass alle, die einer Zwangsimpfung skeptisch gegenüberstehen, Querdenker oder gar Terroristen benannt werden, die eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzen wollen und eine Rückkehr zu einem normalen freien Leben verhinderten, während die andere Seite schnell von einer Corona-Diktatur spricht, sooft Regeln für die Überwindung der Pandemie aufgestellt werden. Letztlich muss es darum gehen, nicht Personen zu bekämpfen, sondern das Virus, was wohl alle Seiten wollen.

In der ganzen Problematik geht es um ein gutes Verständnis von Freiheit und dem Dienst an kranken und erkrankten Menschen, im medizinischen wie im sozialen Bereich. Die Erfahrung aus der ersten Welle, dass Sterbende von ihren Angehörigen nicht mehr begleitet werden konnten, dass selbst Beerdigungen eingeschränkt waren, liegt noch wie ein Trauma auf manchen Angehörigen.

Was den Freiheitsbegriff anbelangt, greife ich zunächst auf die gehörte Lesung zurück. Paulus gilt ja als der Apostel, der die Freiheit sehr hoch einschätzte. „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“, schreibt er im 2. Korintherbrief (2 Kor 3,17).
Unsere Lesung beginnt mit dem Satz: „Im Übrigen soll jeder so leben, wie Gottes Ruf ihn getroffen hat. Das ist meine Weisung für alle Gemeinden.“ Wie Gottes Ruf ihn getroffen hat. Paulus redet hier von keiner äußeren Freiheit, sondern von einem Akt des im Inneren getroffen seins, von einer Berufung, von einem inneren Kern, den es unter allen Umständen zu leben gilt. Deswegen kann er auch sagen: „Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat. Wenn du als Sklave berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken; aber wenn du frei werden kannst, mach lieber Gebrauch davon!“
Paulus weiß, er kann den Sklavenstand nicht abschaffen, aber auch innerhalb des Sklavenstandes kann ein Mensch dem Ruf Gottes treu bleiben. Allerdings ermutigt er jeden, aus Berufen, die versklaven, auszusteigen. Er verweist auf Jesus, der uns ein Leben aus einer Treue zu seiner Berufung vorgelebt hat: „Um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden“ und fügt als Mahnung hinzu: „Macht euch nicht zu Sklaven von Menschen!“ Das tat Paulus selbst nie. Seine Tätigkeit empfand er nicht wie ein freies Entscheiden, sondern als ein Getriebenwerden, aus einer inneren Notwendigkeit heraus. So schreibt er im 1. Korintherbrief: „Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, gebührt mir deswegen kein Ruhm; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor 9,16).
Seine Freiheit ist rückgebunden an den Ruf Gottes. Frei sein ist immer ein Beziehungsgeschehen. Aus dieser Bindung an den Ruf Gottes geht Paulus die Probleme des Lebens an.

Was kann uns dies für unser Freiheitsverständnis geben? Zunächst einmal geht es nicht darum, für was und gegen was ich bin, sondern darum, was ich als meine Aufgabe, meine Berufung bekenne, anerkenne. Darin liegt das Fundament aller Freiheit geborgen. Dann gilt es zu handeln. „Es kommt darauf an, die Gebote Gottes zu halten“, sagt da unsere Lesung.

Es gibt für die Bekämpfung des Covid-19-Virus keine absolut Erfolg versprechende Methode. „Wir irren uns empor“, sagte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx. Aber eine Regierung muss regieren, Entscheide fällen. Wo diese im Parlament besprochen, diskutiert und angenommen werden, da haben sie ihre Berechtigung. Das unterscheidet eine Demokratie von einer Tyrannei. Über 100.000 Coronatote im unserem Land sprechen eine deutliche Sprache. Allerdings müssen demokratisch gefällte Entscheide auch so kommuniziert werden, dass sie für alle zur Einsicht kommen können und so angenommen werden. Dass es immer eine – letztlich kleine – Gruppe von Uneinsichtigen gibt, kann in einer Demokratie verkraftet werden.
Allerdings ist ein Freiheitsbegriff, der nicht für die Folgen seiner Handlung eintritt, abzulehnen. All die Argumente aus Verschwörungstheorien haben nichts mit einer Berufung zu tun, sondern eher mit einem Egoismus, der die Folgen ausblendet. Wer seine individuelle Freiheit voll ausleben will, setzt ein funktionierendes Gesundheitssystem voraus, dass Hilfen im Notfall funktionieren.

Auf der anderen Seite braucht der Staat kritische Bürger, die ihre Freiheiten verteidigen und sie ins Gespräch bringen. Freiheit muss begriffen werden als eine vernünftige Einsicht in die Notwendigkeiten verantwortlichen Handelns und in Solidarität mit den Schwächsten, um einer gemeinsamen Zukunft willen.
Gerade dieser Punkt wurde bei der ersten Coronawelle vernachlässigt. Wenn Sterbende nicht mehr begleitet werden können, wenn Tote nicht mehr im Kreis der Geliebten beerdigt werden können, dann ist der Punkt der Solidarität und der Geschwisterlichkeit gekippt und die göttliche Berufung, die darin besteht, dass es Hungrige zu sättigen, Kranke zu besuchen und Tote zu beerdigen gilt, nicht mehr wahrgenommen.

Freiheit ist nicht nur eine Einsicht in Notwendigkeiten, sondern auch ein schonungsloser Einsatz für Humanität und Mitmenschlichkeit. Dazu befähigt uns ein Glaube, wie er im Evangelium umschrieben wird: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und dieses Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut.“ (FN)