Gedanken zu APG 4,32-35 UND JOH 20,19-31
Die erste Lesung hatte in der Geschichte des Christentums eine lang anhaltende Wirkung. Wir wissen nicht, ob es diesen Zustand jemals gab in der Kirche, dass alle „ein Herz und eine Seele“ waren, dass alle alles gemeinsam hatten, dass keiner Not litt, dass alle Zeugnis von der Auferstehung ablegten, dass jedem so viel zugeteilt wurde, wie er nötig hatte, möglich geworden aus einem Topf, da alle Grundbesitzer ihre Häuser und Grundstücke verkauften und das Geld den Aposteln übergaben.
Aber der Bericht muss auf einer Erinnerung beruhen, wie groß die Geschwisterlichkeit am Beginn der Jesusbewegung war. Das Christentum hatte für die Gesellschaft eine heilsame Bedeutung. Der Bericht verursachte wahrscheinlich damals schon einen ziehenden Schmerz, wie der Beginn war und es heute nicht mehr ist.
Vor allem vor dem Hintergrund des Römischen Reiches war das Christentum eine reale Alternative. Dies wurde bemerkt und in kaum nachvollziehbarer Geschwindigkeit verbreitete sich das Christentum. Der Bericht der Apostelgeschichte war eine Antwort auf die Ausbeutung durch den römischen Staat und seine morbide Gottes- bzw. Götzenverehrung.
Ein wenig spiegelt sich dies auch im Bericht über den sogenannten „ungläubigen“ Thomas. Worin bestand denn seine Ungläubigkeit? Doch nur darin, dass er den anderen Aposteln nicht geglaubt hat.
Thomas scheint einer gewesen zu sein, der die Anfangsbegeisterung, dass alle ein Herz und eine Seele waren, nicht mitbekommen hatte. Er scheint nicht mitbekommen zu haben, wie der Geist Jesu auf die Jünger übergegangen war, wie durch die Sündenvergebung alte Rechnungen beglichen worden waren.
Thomas war beim ersten Treffen nicht dabei. Hatte er sich vom Jüngerkreis entfernt? Nun hat er sich wieder angenähert: „Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder drinnen versammelt und Thomas war dabei.
Er hatte sich wohl von den anderen Jüngern die erste Begegnung mit Jesus erzählen lassen, aber darauf mit einer klaren Einstellung reagiert: „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe, und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.“
Es scheint nicht der Fall gewesen zu ein, dass Thomas ungläubig war. Im Gegenteil wollte er durch seine Anfrage der Sache auf den Grund gehen, wollte Vertrauen und Erfahrung, Glaube und Vernunft zusammenbringen.
Ein vorgelegter Glaube war für ihn kein möglicher Weg. So geht er einer direkten Begegnung mit dem auferstandenen Christus entgegen.
Unsere Situation heute ist dem nicht unähnlich. Der vorgelegte Glaube, die Katechismussätze überzeugen kaum mehr Menschen, gesucht wird eine direkte Gotteserfahrung.
Die Haltung von Thomas ist hier eher als eine aktive Anstrengung Christus zu begegnen, zu verstehen. Der auferstandene Christus scheint dies honoriert zu haben. Bei der ersten Begegnung mit den Aposteln heißt es: „Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite.“ Bei dieser zweiten Begegnung, acht Tage später, fordert Jesus Thomas direkt auf: „Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“
Thomas lebte in einer Haltung wacher Erwartung. Er vertraute darauf, dass es tatsächlich Erfahrungen des Göttlichen zu machen gibt und dass es darauf ankommt, dafür offen zu sein.
Vor kurzem haben wir uns mit der These von Tomas Halik beschäftigt, „so zu leben, zu glauben, als ob es Gott gäbe“. Denn wer so lebt wird neue Erfahrungen mit dem Glauben machen, ihm werden sich größere Möglichkeiten öffnen, die das Leben wertvoller, reicher machen. Durch das Experiment der Erfahrung wird sich zeigen, welch lebensfördernde Wahrheit hinter dem Glauben steckt. Und tatsächlich, die aktive Anstrengung des Thomas, Christus zu begegnen, wird mehr als erfüllt, so dass er nur noch stammelnd bekennt: „Mein Herr und mein Gott!“. Zehn Apostel konnten Thomas nicht überzeugen, die reale Begegnung mit dem Auferstandenen brachte es zustande.
Wir werden heute nicht daran vorbeikommen, dieselben Wege zu beschreiten. Hinter all dem Traditionsgut unserer Kirche muss die direkte Erfahrung mit Christus, mit Gott gesucht werden. Erst eine Erfahrung mit dem Glauben, mit einer Gotteserfahrung wird dann auch den Reichtum der Tradition erschließen oder diese in Frage stellen, verändern, bereichern. „Ich habe dich draußen gesucht, während du drinnen warst“, wird der heilige Augustinus über seinen Lebensweg bekennen.
Auffallend bei dieser Begegnung mit dem Auferstandenen ist die Sündenvergebung: „Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.“ Aufgabe der Sündenvergebung war es, die Menschen in die Lage zu versetzen, ohne Hindernisse in der Gemeinschaft mit Gott zu leben.
Dazu bedurfte es zuerst einer eigenen Selbstreflexion. Romano Guardini schrieb dazu: „Hat der Mensch, der immer „recht“ hat, nicht in Wahrheit aufs gefährlichste unrecht? Blickt der Mensch, bei dem immer die anderen schuld sind, nicht beständig an der eigenen Schuld vorbei? Lebt der, der immer seinen Willen durchsetzt, nicht in verhängnisvoller Täuschung darüber, wie töricht, wie eingebildet, wie engherzig, wie gewalttätig er ist, und welches Unheil er anrichtet? Will ich also richtig mit mir selbst – und, aus mir heraus, mit den anderen – umgehen, dann darf ich nicht an meiner Wirklichkeit vorbeiblicken, mir nichts vormachen, sondern muss wahr gegen mich sein. Aber wie schwer ist das; und wie kläglich sieht es mit uns aus, wenn wir uns ehrlich prüfen.“
Wollen wir dies heute einlösen, dann ist uns eine herausfordernde Zukunft beschieden, in der das Christentum wieder heilsam in die Gesellschaft hineinwirken kann.
Damals reagierte das Christentum auf die politisch-gesellschaftliche Realität des Römischen Reiches. Wie sieht heute unsere politisch-gesellschaftliche Realität aus, auf die wir zu reagieren haben, wenn das Christentum weiterhin heilsam auf die Gesellschaft wirken soll?
Vor kurzem wurde in ganz Europa eine Umfrage gestartet mit einem erschreckenden Resultat. In fast allen Ländern wurde ein Wechsel von einem demokratischen System zu autoritären Staatsformen gewünscht, in Italien und Frankreich bis zu 40%. Diese verhängnisvolle Entwicklung hängt wesentlich mit fehlender sozialer Gerechtigkeit, mit schlechten Bildungssystemen und der Angst um die eigene Sicherheit zusammen, wobei die Politiker nahezu alles Vertrauen verloren haben.
Insofern sind wir in den Gemeinden herausgefordert, eine gute religiöse Bildung zu ermöglichen, integrativ zu arbeiten, was sich schon aus dem Begriff „katholisch, alle und alles umfassend“ ausdrückt, und so pastoral zu handeln, dass den Menschen aus dem Glauben ein gutes Grundvertrauen ermöglicht wird.
Die Erinnerung an die Urgemeinde begleitet uns bis heute wie ein ziehender Schmerz, genauso wie das Beispiel des Thomas uns ermutigt, die Herausforderungen ohne Scheuklappen anzugehen.
Franz Nagler, Pfarrer